"Nordost. Die Region in der Mittelalterforschung" - Vortragsreihe
Wintersemester 2022/23
Welche Wege geht die Regionalforschung? Starre Modelle von Zentrum und Peripherie gehören der Vergangenheit an. Unter dem immer größer werdenden Einfluss globaler Forschungsperspektiven gilt es, Regionen in ihren eigenen Qualitäten und Dynamiken zu beschreiben und in lokalen und globalen Verflechtungen zu kontextualisieren. Dadurch wird die Regionalforschung immer anschlussfähiger für überregionale und auch international vergleichende Forschung, die sich – insbesondere in der Mediävistik – von heutigen politischen Zusammenhängen löst. Vor diesem Hintergrund fragt die Vortragsreihe des Greifswalder Mittelalterzentrums nach neuen methodischen und inhaltlichen Perspektiven der Regionalforschung im Nordosten Deutschlands. In sechs Vorträgen aus verschiedenen mediävistischen Disziplinen und aus der musealen Praxis werden methodische Überlegungen sowie konkrete Fallstudien kombiniert.
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Zur Eröffnung der diesjährigen Vortragsreihe „Nordost. Die Region in der Mittelalterforschung” des Mittelalterzentrums Greifswald stellt die Direktorin des Pommerschen Landesmuseums einen spektakulären Neuzugang vor, eine mittelalterliche Goldschmiedearbeit aus dem frühen 14. Jahrhundert; außergewöhnlich sind neben dem hohen Alter des Abendmahlskelchs die szenischen Darstellungen auf seinem Fuß. In den Wirren nach Kriegsende gelangte er 1945 aus Naugard/Nowogard zunächst nach Grimmen und später in das Konsistorium der neugebildeten Pommerschen Evangelischen Kirche in Greifswald. Anhand der Objektgeschichte wird lebendig, warum Pommersche Geschichte immer zugleich Europäische Geschichte und das Pommersche Landesmuseum mehr als ein Landesmuseum ist. Im Anschluss an den Vortrag findet die feierliche Übergabe des Kelchs durch Bischof Tilman Jeremias statt. Die neue Dauerleihgabe ist ab 25. Oktober im Pommerschen Landesmuseum zu sehen.
Begrüßung: Dr. Christian Suhm
Moderation: Professorin Dr. Cornelia Linde
Veranstaltungsort: Alfried Krupp Wissenschaftskolleg, Martin-Luther-Straße 14, 17489 Greifswald
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Weitere Informationen und Zugang: www.wiko-greifswald.de
Öffentliche Veranstaltung mit Livestream
Programmhinweis (Krupp-Kolleg)
Während die Häresie- und Frömmigkeitsgeschichte klassischen Zuschnitts nach Glaubensinhalten, Verfolgungsstrategien und theologischen Argumenten gegen Häretiker gefragt hat, tritt in jüngeren Forschungsarbeiten ein pragmatischerer Ansatz bei der Untersuchung von religiöser Devianz in den Vordergrund. Der Blick richtet sich nun auch auf die „Verketzerung“ von unliebsamen Konkurrenten und Gegnern und die Instrumentalisierung der Inquisitionsverfahren als Mittel in sozialen, religiösen und politischen Auseinandersetzungen. In manchen Studien, wie etwa neueren Arbeiten zu den Katharer von Mark Gregory Pegg und Robert Moore, wird die Existenz von Häresien angesichts der Aufdeckung solcher Mechanismen sogar vollständig infrage gestellt. Im Vortrag werden diese neuen Ansätze der Forschung kritisch auf den Prüfstand gestellt und auf ihren Nutzen für landesgeschichtliche Fragestellungen hin untersucht. Anhand von Beispielen aus dem mitteldeutschen Raum sollen die Zusammenhänge von Ketzerverfolgungen und Konflikten vor allem in Städten betrachtet werden, vor allem unter dem Aspekt, welche Einblicke die Auswertung der im Inquisitions-Kontext überlieferten Quellen in Handlungsspielräume und Repräsentation politischer Akteure im Spätmittelalter gewähren kann.
Kurzvita:
PD Dr. Ingrid Würth studierte in Jena und Siena Mittelalterliche Geschichte, Alte Geschichte und Germanistik. Die Promotion erfolgte 2011 mit einer Arbeit über die Geißler in Thüringen. Bis 2020 war sie als wiss. Mitarbeiterin in Halle tätig, zuletzt für die Vorarbeiten zu einem Klosterbuch für das Land Sachsen-Anhalt. 2019 Habilitation (Thema „Regnum statt Interregnum. König Wilhelm, 1247-1256“). Seit WS 2021/22 Vertretung der Professur für Mittelalterliche Geschichte in Leipzig.
Veranstaltungsort: Hörsaal 1 (Audimax), Rubenowstraße 1, 17489 Greifswald
Die Aristokratie und die Städte waren Haupttriebkräfte der spätmittelalterlichen Gesellschaft. Trotz ihrer gesellschaftlichen Relevanz fand das Themenfeld „Adel und Stadt“, d. h. die gemeinsame Betrachtung dieser wichtigen Kräfte, in der archäologischen Forschung bislang kaum Beachtung. Für die Archäologie ist dabei vor allem nach der sozialen Aussagekraft ihrer materiellen Quellen zu fragen, im städtischen Kontext nach der Differenzierung zwischen Adligen und bürgerlicher Oberschicht. Der Vortrag stellt neue methodische Überlegungen und vergleichende Zugänge zur Erforschung städtischer Eliten in Nordostdeutschland und Dänemark vor.
Kurzvita:
Luisa Radohs, Dr. phil., studierte Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit, Ur- und Frühgeschichte, Geschichte und Kunstgeschichte in Kiel und Bamberg. Von 2017-2020 war sie PhD-Fellow an der Aarhus University (DK); in diese Zeit fielen Gastaufenthalte an der Universität Lund und dem Institut für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit in Krems an der Donau. Luisa Radohs wurde 2021 promoviert; es folgte eine Tätigkeit am Fachreferat für Mittelalter- und Neuzeitarchäologie in Münster. Seit Oktober 2022 ist sie Akademische Rätin am Institut für Archäologische Wissenschaften der Universität Freiburg.
Veranstaltungsort:
HS 1, Rubenowstr. 1
Die Forschung rund um die Klöster und Stifte in Pommern bekommt durch das derzeit laufende regionalhistorische Projekt „Klosterregister und Klosterbuch für Pommern“ spürbar frischen Aufwind. Die zahlreichen dortigen geistlichen Niederlassungen waren nicht nur europaweit vernetzt, sondern hinterließen auch eine Vielzahl von Schriftgut, Architektur und archäologischen Fundstücken, die es zu sichten und zu bearbeiten gilt. In Zusammenarbeit mit zahlreichen internationalen Partnern schließt das im Entstehen befindliche Klosterbuch eine Lücke in der Klosterforschung und bringt über Grenzen hinweg Forschende und Interessierte zusammen. In dem als Werkstattbericht angelegten Vortrag werden Aufbau sowie die Chancen und Herausforderungen des Projektes vorgestellt.
Kurzvita:
Oliver Auge, Prof. Dr., studierte zwischen 1991 und 1997 in Tübingen Geschichte und Lateinische Philologie. Nach seinem erfolgreichen Studium war er Stipendiat des Tübinger Graduiertenkollegs „Ars und Scientia in Mittelalter und früher Neuzeit“. 2001 wurde er in Tübingen mit der Doktorarbeit „Stiftsbiographien. Die Kleriker des Stuttgarter Heilig-Kreuz-Stifts (1250-1552)“ promoviert (summa cum laude). Von 2000 bis 2007 war er wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Allgemeine Geschichte des Mittelalters und Historische Hilfswissenschaften in Greifswald. Dort habilitierte er sich 2008 mit der Schrift „Handlungsspielräume fürstlicher Politik im Mittelalter. Der südliche Ostseeraum von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis in die frühe Reformationszeit“. Nach Lehrstuhlvertretungen in Greifswald und Göttingen sowie der Mitarbeit am Dresdener SFB 537 wurde er im Frühjahr 2009 auf den Lehrstuhl für Regionalgeschichte mit Schwerpunkt Schleswig-Holstein in Mittelalter und früher Neuzeit der Universität Kiel berufen. 2014 und 2016 lehnte er Rufe nach Salzburg bzw. Greifswald ab. Seit 2020 ist er hauptverantwortlicher Herausgeber des Jahrbuchs für Regionalgeschichte, seit Herbst 2021 Sprecher der AG Landesgeschichte beim Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Landes- und Regionalgeschichte Schleswig-Holsteins, Pommerns und Württembergs sowie auf dem Feld der mittelalterlichen Reichs-, Adels-, Lehns-, Stadt- und nicht zuletzt Klostergeschichte. Er leitet das Projekt „Klosterregister und Klosterbuch für Pommern“.
Kurzvita:
Robert Harlaß, M.A. hat Geschichte in Dresden studiert und war bereits früh in der Forschungsstelle für vergleichende Ordensgeschichte in Dresden aktiv, bevor er von 2019 bis 2021 als Sachbearbeiter für das Sächsische Staatsarchiv in Dresden arbeitete. Seit 2021 ist er im Projekt „Klosterregister und Klosterbuch für Pommern“ als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Abt. für Regionalgeschichte der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel beschäftigt und promoviert bei Prof. Dr. Oliver Auge zum Thema “Ordenszugehörigkeit als Problem in mittelalterlichen diplomatischen Quellen“.
Veranstaltungsort:
HS 1, Rubenowstr. 1
Die Kunstgeografie als Methode befasst sich seit der Wende zum 20. Jahrhundert mit der topografischen Einordnung und räumlichen Verteilung von Kunstwerken, um vermeintlich spezifische Stile zu erkennen und im Kontext von Raumkonstellationen relational zu beschreiben. Zur Definition solcher Kunstlandschaften werden häufig naturräumliche oder politische Grenzen verwendet, die Verbreitungsgebiete von Werken einer Gattung begrenzen. Der Beitrag befasst sich mit einem Einblick in die Methodengeschichte, mit der Bedeutung der Kunstgeografie für die kunsthistorische Grundlagenforschung, einer Standortverortung sowie dem perspektivischen Potenzial der Digital Humanities am Beispiel Nordosteuropas.
Kurzvita:
Julia Trinkert, Dr. phil., Dissertation 2012 über spätmittelalterliche Flügelretabel in Mecklenburg an der CAU Kiel, 2013-2015 wiss. Mitarbeiterin im DFG-Projekt „Corpus der mittelalterlichen Holzskulptur und Tafelmalerei in Schleswig-Holstein“ (CAU), 2015-2019 wiss. Mitarbeiterin an der HHU Düsseldorf, 2018-2023 Projektleitung des BMBF-Verbundprojektes „PARVENUE - Bürgerlicher Aufstieg im Spiegel der Objektkultur des 18. Jahrhunderts“ (HHU), derzeit Juniorprofessorin für die Kunstgeschichte des Mittelalters (HHU); Arbeitsschwerpunkte u.a. Kunstgeschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit in Nord- und Ostmitteleuropa.
Veranstaltungsort:
HS 1, Rubenowstr. 1
Das Stralsunder Stadtarchiv beherbergt nicht nur einen reichen Urkundenbestand, der weit ins Mittelalter zurückreicht, sondern auch eine bedeutende Sammlung handgeschriebener mittelalterlicher Bücher. Diese Buchhandschriften waren bislang großteils unbekannt und kaum genauer erforscht. Ein Projekt am Handschriftenzentrum der Leipziger Universitätsbibliothek hat die Stralsunder Handschriftenschätze in den letzten Jahren wissenschaftlich aufgearbeitet und dabei zahlreiche Funde gemacht: Sie erzählen Neues von der mittelalterlichen Geschichte Stralsunds, vom Austausch mit anderen Zentren, von Bildungsreisen, reichen Sammlern und dem Zufall der Überlieferung.
Kurzvita:
Christoph Mackert studierte Germanistik, Kunstgeschichte und Lateinische Philologie des Mittelalters in Freiburg im Breisgau und Hamburg, war in den 1990er Jahren Dozent an der Universität Freiburg und arbeitet seit 1998 als Handschriftenexperte in Bibliotheken. Seit dem Jahr 2000 hat er mit dem Handschriftenzentrum der UB Leipzig eines von sechs deutschen Kompetenzzentren für die handgeschriebenen Bücher aus Mittelalter und Neuzeit aufgebaut, das bislang ca. 40 Drittmittelprojekte zur Erschließung und Digitalisierung von Handschriftenbeständen durchgeführt hat.
Moderation: Dr. Christine Magin
Veranstaltungsort
Konferenzraum der Universität Greifswald, Domstr. 11 (2. Eingang)
Plakat und Flyer bisheriger Vortragsreihen
Montag, 8. November 2021, 18.15 Uhr: Prof. Dr. Michael Stolz, Universität Bern/ Fellow des Alfried Krupp Wissenschaftskollegs Greifswald
Wer war König Artus? - Spuren in der handschriftlichen Überlieferung
Alfried Krupp Kolleg Greifswald, Martin-Luther-Straße 14 (Der Vortrag findet präsent, mit Voranmeldung, statt und kann im digitalen Hörsaal des Krupp Kollegs verfolgt werden)
König Artus ist in der mittelalterlichen Literatur bekannt als Stifter der sagenhaften Tafelrunde, an der sich auserwählte Ritter versammeln. Seine Herkunft verbirgt sich in frühzeitlichen Nachrichten über einen keltischen König, der gegen die sächsischen Eroberer Britanniens gekämpft habe. Fassbar wird Artus in den pseudo-chronikalischen Texten des Geoffrey von Monmouth und Wace aus dem 12. Jahrhundert, die ihrerseits im Dienste der normannischen Herrscher Britanniens und ihrer Nachfolger stehen. Zur Regierungszeit Heinrichs II. Plantagenet baut der französische Dichter Chrétien de Troyes den Artusstoff zum höfischen Roman mit fiktionalem Charakter aus. Der Vortrag beleuchtet die Spuren, die König Artus in der volkssprachigen Dichtung des Mittelalters hinterlassen hat und legt dabei ein besonderes Augenmerk auf die handschriftliche Überlieferung.
Michael Stolz studierte Germanistik und Romanistik an den Universitäten in München (LMU), Poitiers und Bern. Nach der Promotion in Bern und einem dreijährigen Forschungsaufenthalt an der Universität Oxford habilitierte er sich in Bern mit einer Arbeit über mittelalterliche Text-Bild-Zyklen zu den Sieben freien Künsten (Artes liberales). Er hatte Professuren in Basel, Göttingen, Paris (Sorbonne) inne und übernahm 2006 den Lehrstuhl für germanistische Mediävistik an der Universität Bern. Dort leitet er u. a. die Digitalprojekte zur Neuedition des ›Parzival‹ Wolframs von Eschenbach und zur Rekonstruktion der Bibliothek des Frühhumanisten Sigmund Gossembrot. Nach Forschungsaufenthalten in Freiburg/Br. (FRIAS) und Stanford ist Michael Stolz gegenwärtig Senior Fellow des Alfried Krupp Wissenschaftskollegs Greifswald.

Adam – Christus – Karl der Kahle. Attributionen und Konnotationen karolingischer Kunst - Eröffungsvortrag
Montag, 9. November 2020, 18.15 Uhr - Dr. Philippe Cordez, Deutsches Forum für Kunstgeschichte, Paris
Der Elfenbeinkamm 'von St. Heribert' im Kölner Museum Schnütgen, wohl in Metz um 870 geschnitzt und eines der bekanntesten Objekte aus dem Frühmittelalter, zeigt eine der komplexesten Kreuzigungsdarstellungen der Karolingerzeit. Doch wurde er erstaunlich wenig studiert. Seine Funktion als Kamm und seine Bebilderung legen eine Identifikation des gekämmten Kopfes mit Golgotha – der „Schädelstätte“ – nahe, also mit dem toten Adam, dessen Schädel als dort begraben galt, und zu Christus, dem neuen Adam.
Anhand von Forschungen zu verwandten Objekten können auch Verbindungen zu Karl dem Kahlen aufgezeigt werden, für dessen kaiserliche Krönung, Ende 875 in Rom, ein Kamm mit Tierkreiszeichen geschaffen wurde (Victoria and Albert Museum, London).
Der Vortrag stellt die materielle und schriftliche Überlieferung von Elfenbeinkämmen bis ca. 1000 vor und die Hypothese, dass der Kamm mit der Kreuzigung zum Anlass der Krönung Karls des Kahlen in Metz im Jahr 869 entstand. Zuletzt wird die spätere Deutung des Kammes als Reliquie Erzbischofs Heribert von Köln (999–1021) untersucht.


Vom Ursprung alles Wissens. Geschichte, Offenbarung und Erkenntnis im philosophischen Diskurs des Spätmittelalters
Montag, 7. Dezember 2020, 18.15 Uhr - Dr. Bernhard Hollick, Deutsches Historisches Institut London
Mittelalterliche Theologie bewegte sich stets im Spannungsfeld von Vernunft und Offenbarung. Doch im 14. Jahrhundert gerieten die Lösungen, mit denen Denker von Alkuin bis Thomas von Aquin diese Kluft überbrückt hatten, in eine Krise. Davon war nicht nur die Erkenntnistheorie betroffen. Auch die Integration antiker Autoren in die klerikale Bildung hing an dieser Frage. Es stand somit die Kultur und der Status eines ganzen gelehrt-geistlichen Milieus zur Disposition. Der Vortrag soll den Auswegen aus dieser Misere nachspüren, die man in der Oxforder Spätscholastik fand. Die Herkunft des Wissens spielte dabei eine entscheidende Rolle.
Dr. Bernhard Hollick hat Mittellatein, Philosophie und Germanistik studiert; 2011 folgte die Promotion in mittel- und neulateinischer Philologie (Erlangen) mit einer Arbeit über die Logica vetus-Glossen in einer Echternacher Handschrift aus dem 12. Jahrhundert. Er war als Postdoc in Braunschweig, Toronto, Köln und in Exeter tätig. Gegenwärtig arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut in London; sein Habilitationsprojekt dreht sich um Mythographie und Wissensdiskurs im spätmittelalterlichen England.
Adam und Eva. Musterbiographien im ausgehenden Mittelalter?
4. Januar 2021, 18.15 Uhr - Prof. Dr. Christfried Böttrich, Universität Greifswald
Mit der Erzählung von der Erschaffung des Menschen, seiner Würde und seinem Fall, beginnt die biblische Urgeschichte. Erstaunlicherweise finden diese ersten Kapitel, in denen die Grundzüge einer narrativen Anthropologie entworfen werden, im weiteren Bestand des Alten Testamentes kein nennenswertes Echo mehr. Erst im frühen Judentum kommt man wieder auf diesen Stoff zurück – nun aber mit umso größerer Lust an der Ausschmückung dessen, was im Buch Genesis nur angedeutet ist. Dabei entsteht ein besonderer Typus Erzählung, der als “Leben Adams und Evas” zunächst auf Griechisch und Lateinisch weite Verbreitung erfährt und zudem in die wichtigsten Sprachen des christlichen Orients (armenisch, georgisch, kirchenslawisch) übersetzt wird. Namentlich die lateinische Fassung dieser “Vita Adae et Evae” beeinflusst fortan auch die Bibelprosa in Westeuropa und wird schließlich in den vielgestaltigen Literaturbereich der sogenannten “Historienbibeln” aufgenommen. Zwei Beispiele sind dafür von besonderem Interesse: Die Dichtung Lutwins über Eva und Adam (13./14. Jh.) sowie ein deutsches Adambuch (15. Jh.). Beide Texte gestalten das Leben der Ureltern zu Musterbiographien aus, in denen grundlegende Fragen des Menschseins bedacht und entfaltet werden. Sie zeigen, wie das literarische Spiel mit dem biblischen Stoff zu neuen Perspektiven der Selbstwahrnehmung führt.
Christfried Böttrich studierte in Leipzig Evangelische Theologie. Seit 2003 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Neues Testament an der Theologischen Fakultät der Universität Greifswald. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört vor allem die Literatur des frühen Judentums und deren Rezeption.

Dichter, Gelehrte, Götter – Herkunftsnarrative in der mittelalterlichen isländischen Tradition
Ersatztermin: Montag, 8. März 2021, 18.15 Uhr - Prof. Dr. Lena Rohrbach (Universität Basel/Universität Zürich)
Die mittelalterliche isländische Tradition zeichnet sich geradezu durch eine Obsession für Herkunftsnarrative aus. Eine jede Saga enthält ausführliche Genealogien wichtiger (und peripherer) Figuren, die immer wieder bis auf mythische und heroische Zeiten zurückverfolgt werden. Neben genealogischen Ursprüngen werden jedoch durch Berufung auf poetische und gelehrte Vorgänger auch andere Traditionslinien für die Konstruktion von Biographien bemüht. In diesem Vortrag werde ich am Beispiel der Prosa-Edda und verschiedener isländischer Kompilationshandschriften des Spätmittelalters diesem Zusammenspiel unterschiedlicher Legitimationsstrategien und diesen zugrundeliegenden Identitätskonstruktionen im mittelalterlichen skandinavischen Kontext nachgehen.
Lena Rohrbach ist seit 2017 Professorin für Nordische Philologie an den Universitäten Basel und Zürich. Zuvor war sie von 2009 bis 2017 zuerst Juniorprofessorin, dann Professorin für skandinavistische Mediävistik an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind materialphilologisch-mediologische, erzähl- und gattungstheoretische Annäherungen an die vormoderne skandinavische Literatur und Schriftkultur.






Montag, 28. Oktober 2019: Prof. Dr. Bernhard Jahn, Universität Hamburg
Inklusion und Exklusion im Dyl Vlenspiegel
Die 1515 in Straßburg gedruckte Schwanksammlung Ein kurtzweilig lesen von Dyl Vlenspiegel ist das erste erhaltene umfassende Textzeugnis, in dem Till Eulenspiegel als literarische Figur auftritt. Die Funktion des Buches (reine Unterhaltung oder Lasterkritik? Bestätigung kirchlicher Normen oder sozialrevolutionäre Tendenz?) ist in der Forschung nach wie vor umstritten.
Im Vortrag soll erprobt werden, ob die Deutung Eulenspiegels als Figuration des Fremden ein neues Verständnis ermöglicht.
Bernhard Jahn studierte Germanistik und Musikwissen-schaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er promovierte 1993 in München, 2002 folgte die Habilitation an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Seit 2010 ist er Professor für Deutsche Literatur des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit an der Universität Hamburg. Einer seiner Forschungsschwerpunkte liegt im Bereich des Theaters in der Frühen Neuzeit mit einem besonderen Interesse am Musiktheater. Er ist Mitglied des Hamburger Graduiertenkollegs Interkonfessionalität in der Frühen Neuzeit und Mitherausgeber des literaturwissenschaftlichen Verfasserlexikons Frühe Neuzeit in Deutschland, 1620–1720.

Montag, 11. November 2019: Dr. Stefan Drechsler, Universität Bergen (Norwegen)
Fremdheit in der Gísla saga Súrssonar
Die Gísla saga Súrssonar gilt als eine der bedeutendsten Zeugnisse der mittelalterlichen Saga-Literatur Islands. Grob datiert auf die Mitte des 13. Jahrhunderts, schildert die Gísla saga die schicksalshafte Geschichte dreier Brüder im späten 10. Jahrhundert. Im Vortrag sollen einige Formen der Fremdheit in der Gesellschaft der Saga vorgestellt und im Rahmen ihrer einzigartigen fatalistischen Grundstimmung diskutiert werden. Neben Erzählstrategien und Charakterschilderungen der Saga werden auch ihre vielfältige Überlieferung und die damit einher gehenden Deutungsprobleme im Vordergrund stehen.
Dr. Stefan Drechsler studierte Skandinavistik, Kunst-geschichte und Philosophie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, und ‚Medieval Icelandic Studies‘ an der Háskóli Íslands zu Reykjavík, Island. Er promovierte 2017 an der University of Aberdeen in Scandinavian Studies und war zwischen 2018 und 2019 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Fachbereiches Skandinavistische Mediävistik am Institut für Fennistik und Skandinavistik der Universität Greifswald angestellt. Seit September 2019 ist er Postdoctoral Research Fellow an der Universitetet i Bergen, Norwegen. Seine Hauptforschungsschwerpunkte liegen in der altwestnordischen Saga-Literatur, den interdisziplinären, material-philologischen Handschriftenwissenschaften und den Digital Humanities.
Montag, 25. November 2019: Prof. Dr. Juliane von Fircks, Universität Jena
Die Mongolen und Europa: Globale Verflechtung um 1300 aus kunsthistorischer Perspektive
Globale Vernetzung im Mittelalter, gab es sie überhaupt? Und falls ja, wer hatte daran teil und welches waren ihre Auswirkungen und Grenzen?
Um sich diesen Fragen zu nähern, nimmt der Vortrag die ab 1279 knapp einhundert Jahre währende Zeit der Herrschaft der Mongolen über Asien in den Blick, die nicht nur die traditionellen Kulturen Chinas und Irans grundlegend veränderte, sondern, aufgrund der Öffnung der Handelswege, auch italienische Fernhändler wie Marco Polo bis nach China reisen ließ. Im Fokus stehen Luxuswaren wie Seidenstoffe, Gefäße aus Edelmetall, Glas und Porzellan, die innerhalb Asiens sowie von Asien nach Europa gehandelt wurden.
Es soll gezeigt werden, dass die Aneignung der importierten Artefakte nicht umfassend war, sondern von Region zu Region auf höchst unterschiedliche Weise erfolgte. Dabei werden auch Formen der geistigen Grenzziehung oder auch Anzeichen von Ignoranz seitens der Europäer gegenüber den fremden Motiven, Formen und Inhalten in die Betrachtung miteinbezogen und die Gründe hierfür zu diskutieren sein.
Montag, 9. Dezember 2019: Prof. Dr. Marc von der Höh, Universität Rostock
Bilder der Anderen: Fremde in den italienischen Kommunen
Der Vortrag beschäftigt sich mit einer Bevölkerungsgruppe in den italienischen Handelszentren des 11. bis 14. Jahrhunderts, die nur sporadisch in der Überlieferung fassbar ist, bei den Zeitgenossen nach Ausweis der Quellen aber wohl die extremste Fremdheits-erfahrung ausgelöst hat: den Muslimen.
Vor allem in den sogenannten Seestädten Pisa, Genua und Venedig sind sie immer wieder, wenn auch niemals dauerhaft präsent gewesen. Lassen sich Muslime in den Seestädten zunächst als Händler vermuten bzw. plausibel machen, so sind sie seit dem 11. Jahrhundert als Kriegsgefangene oder als diplomatische Akteure sicher nachweisbar.
Der Vortrag versteht sich dabei nicht als weiterer Beitrag zu einer Geschichte des christlichen Wissens über den Islam, vielmehr soll eine wahrnehmungsgeschichtliche Perspektive erprobt werden, die jenseits der religiösen Differenz nach weiteren Aspekten des „Sarazenen“-Bildes im lateinischen Mittelalter sucht.
Montag, 6. Januar 2020: Dr. Falk Eisermann, Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
Wie die neue Medienwelt Amerika entdeckte: Der 'Columbusbrief' von 1493 in der Kommunikationskultur seiner Zeit
Am 12. Oktober 1492 erreichte Christoph Columbus erstmals das, was wir die „neue Welt“ nennen. Sofort nach seiner Rückkehr sechs Monate später begannen spanische, italienische und deutsche Drucker damit, seinen kurzen Expeditionsbericht in Europa zu verbreiten und damit „Amerika“ für die neue Medienwelt zu entdecken – auch wenn zunächst weder Autor noch Leser ahnten, was hier eigentlich entdeckt worden war; der Name des neuen Kontinents wurde bekanntlich erst 1507, nach dem Tod des Columbus, geprägt.
Der Columbusbrief von 1493 ist ein oft übersehener Schlüsseltext der Vormoderne. Sein Text und seine Überlieferung erzählen besondere Geschichten über das Eigene und das Fremde: zuerst die Geschichte vom individuellen und kollektiven Missverständnis einer Fremdheitserfahrung; dann die Geschichte eines Prozesses intensiver Textverfremdungen und medialer Transformationen, die bereits mit der frühesten Überlieferung des Textes verbunden sind; und schließlich eine Geschichte über skurrile Verfremdungen und kriminelle Enteignungen, denen der Brief unterzogen wurde, seit Amerika ihn im 19. Jahrhundert als Gründungsdokument des vierten Kontinents wiederentdeckte.
Montag, 20. Januar 2020: Prof. Dr. Katrin Kogman-Appel, Universität Münster
Weltpolitik aus jüdischer Sicht: Die 'Katalnische Weltkarte' (Mallorca, 1375)
Die reich bebilderte sogenannte Katalanische Weltkarte gehört zu den bekanntesten kartographischen Produkten des Mittelalters. Sie wurde von Peter IV. von Aragon in Auftrag gegeben und Karl V. von Frankreich zum Geschenk gemacht. Sie entstand um 1375 in der Werkstatt des Elisha Cresques, eines jüdischen Schreibers, Malers und Kartographen in Mallorca.
Der Vortrag zeigt auf, wie Elisha vorging, um einerseits die politischen und religiösen Erwartungen seines Auftraggebers zu erfüllen, und andererseits seiner eigenen Position als jüdischer Intellektueller Ausdruck zu verleihen.
Wie Sebastian Brant im 65. Kapitel seines 1494 gedruckten Narrenschiffs ausführt, bestimmte der Wunsch nach Berechenbarkeit der Zukunft mithilfe von Sternenkonstellationen nur allzu sehr den Alltag der Menschen. Aus kirchlicher Sicht praktizierten die vermeintlichen Wahrsager aber Teufelskunst. Nicht der Aberglaube sollte das Leben des Christen bestimmen, sondern allein sein Vertrauen auf Gott. Der christliche Glaube war bestimmt von der eschatologischen Erwartung, dass Gott nicht nur über das Weltgeschehen, sondern beim Jüngsten Gericht auch über das jenseitige Schicksal des Menschen entscheidet. Umso bedeutsamer war somit die Vorbereitung des Menschen auf den Tod. In dieser Spannbreite zwischen Zukunftshoffnung, imaginierten Zukunftskonstruktionen und Zukunftsangst, verbunden mit Visionen vom Jüngsten Gericht, werden die Vorträge mittelalterliche Zukunftsvorstellungen in Schrift und Bild aus den Bereichen von Kunst, Religion, Literatur und Geschichte behandeln.
Die Vortragsreihe des Mittelalterzentrums der Universität Greifswald wird gefördert von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, Essen.
5. November 2018: PD Dr. Susanne Knaeble
Planen und Entscheiden. Zukunftskonzepte in frühen deutschsprachigen Prosaromanen
Zeit ist für Erzählen essentiell: Die Art und Weise, wie literarische Erzählungen funktionieren, ist ganz wesentlich davon beeinflusst, welche Zeitvorstellungen in den Texten entworfen sind. Diese Zeitvorstellungen sind zugleich einem soziokulturellen Wandel unterworfen. Das bedeutet, Zeit ist historisch gesehen ganz unterschiedlich verstanden worden. So mag z.B. heute die Vorstellung, dass ein mittelalterlicher Held keine Zukunft nach unserem Verständnis kennt, zunächst befremdlich erscheinen. Doch der Platz, den sich der mittelalterliche Held erkämpfen muss, ist ihm stets vorherbestimmt – sei es durch Geburt, durch Schicksal oder Gott. Die mittelalterlichen Erzählungen kennen daher nicht die Vorstellung einer ‚offenen Zukunft‘, d.h. eines unbestimmten Zeitraumes, den es mit Plänen, Wünschen, Kalkulationen usw. zu füllen und zu gestalten gilt. Es ist noch nicht einmal das Wort ‚Zukunft‘ in Gebrauch, denn das mittelhochdeutsche und auch noch das frühneuhoch-deutsche zuokunfft oder kunfft bezeichnet vielmehr die ‚Ankunft‘, d.h. den Eintritt eines vorherbestimmten Ereignisses. Doch an welcher Stelle und auf welche Art und Weise tritt in der Literatur hierbei ein Wandel hin zu einer ‚offenen Zukunft‘ ein? Um diese Frage zu beantworten, muss man sich auf die Suche danach machen, wie mit dem Ungewissen umgegangen wird, und untersuchen, ob und woran sich ein Gestaltungswille des Möglichen, Noch-Nicht-Seienden festmachen lässt. Die in den frühen deutschsprachigen Prosaromanen entworfenen Szenen des Planens und Entscheidens der Figuren können hierbei als Schlüs-selstellen für den Entwurf von aktiver Zukunftsgestaltung verstanden werden.
19. November 2018: Prof. Dr. Gerhard Weilandt
Der Kaiser und die Teufel. Die Seelenwägung Kaiser Heinrichs II. in Kirichen auf Gotland
Der Vortrag befasst sich mit einigen ungewöhnlichen Darstellungen auf Wandmalereien in den gotländischen Kirchen. Es handelt sich um die Seelenwägung Kaiser Heinrichs II., ein Bildthema, das nach 1500 in der Umgebung Bambergs, wo Heinrich II. bestattet und als Heiliger verehrt wurde, populär war, zuvor jedoch nur auf Gotland vorkommt, und zwar schon im 13. und 14. Jahrhundert. In Franken gibt es aus dieser frühen Zeit keine Bildüberlieferung. Es scheint, als sei die ikonographische Tradition der Seelenwaage Heinrichs II. auf Gotland entstanden, obwohl es hier keine intensive kultische Verehrung des Kaisers gab. Es gilt, das merkwürdige Phänomen zu erklären, warum während des Hoch- und Spätmittelalters im Zentrum der Heinrichsverehrung die Darstellung seiner Seelenwägung noch unbekannt war, während es weit entfernt auf Gotland gleich mehrere Darstellungen gibt. Als Quelle kommt keine tradierte Ikonographie in Frage. Vielmehr müssen die Künstler der frühesten Denkmäler direkt aus den Schriftquellen geschöpft haben, die kurz vor den ersten Darstellungen verfasst wurden.
3. Dezember 2018: Dr. Anita Sauckel (University of Iceland)
Zukunftsangst in der altisländischen Brennu-Njáls saga
Zu den wesentlichen Erzählelementen der altislän-dischen Brennu-Njáls saga („Die Geschichte vom verbrannten Njáll“) zählen Vorahnungen in Form von Träumen, Prognosen und Warnungen. Im Zentrum der Handlung steht der Titelheld der Saga, Njáll Þorgeirsson, ein Rechtsgelehrter und Seher. Er erteilt anderen Figuren juristische Ratschläge, die er nicht selten mit einer Zukunftsprognose in Bezug auf einen möglichen Erfolg oder Misserfolg ihres Anliegens versieht. Mit seinem „guten Rat“ und seinem Wissen um künftige Ereignisse schürt der Protagonist aller-dings auch Zukunftsängste: Der Vortrag geht der Frage nach, um welche Ängste es sich dabei handelt, mit welchen literarischen Mitteln diese zum Ausdruck gebracht werden und welche Auswirkungen diese auf den Handlungsverlauf und das Schicksal der Figuren haben.
7. Januar 2019: Prof. Dr. Susanne Wegmann (TH Köln)
Die Schau ins Künftige. Bilderrealitäten an spätmittlelaterlichen Altarretabeln
Wie kaum ein anderes Medium ist das spätmittelalterliche Flügelretabel geeignet, dem Betrachter aus der Gegenwart eines diesseitigen Betrachterraums eine Schau ins jenseitige, künftige Gottesreich zu ermöglichen. Die Wandlung des Retabels inszeniert eine Enthüllung und Verhüllung dessen, was dem Gläubigen versprochen, aber seinen Augen noch entzogen ist. Am Altarretabel von St. Wolfgang am Wolfgangssee – an dem Retabel, das im Zentrum des Vortrags stehen wird – bietet Michael Pacher alle Mittel seiner Kunst auf, diese Schau in das Künftige zur gegenwärtigen Realität werden zu lassen. Die illusionistische Überzeugungskraft, mit der der Betrachter die Gegenwart der göttlichen Trinität erfährt, wird jedoch zugleich selbstreflexiv als Werk eines Künstlers markiert und damit an Bilddiskurse angebunden, die den christlichen Bildgebrauch von Anbeginn bestimmen.
21. Januar 2019: Prof. Dr. Klaus Oschema (Ruhr-Unviersität Bochum)
Die Zukunft der ganzen Welt. Spätmittlelalterliche Judicia anni und die Ordnung des Wissens über die Zukunft
Die jüngst intensivierte Erforschung spätmittelalterlicher Zukunftsvorstellungen fokussiert häufig auf Texte und Quellen, die den Blick auf religiös aufgeladene Motive lenken. Dabei geraten insbesondere Praktiken der individuellen und kollektiven Vorsorge für das Seelenheil in den Fokus, oft in Ausrichtung auf das biblisch beschriebene Ende der diesseitigen Welt. Erst in den letzten Jahren bemüht sich die Forschung verstärkt, innerweltliche Zukunftsvorstellungen der Vormoderne zu fassen. Dabei liegt ein Schwerpunkt auf der Entstehung des Gedankens von Planbarkeit und Risiko, aber auch solcher Praktiken wie der Vorsorge und der Versicherung.
Dem gegenüber will dieser Vortrag einen Bereich in den Fokus rücken, der unmittelbar auf die Produktion von Wissen über die Zukunft ausgerichtet ist, aber von der Forschung weithin vernachlässigt wird: astrologische Texte. Einen beispielhaften Einblick eröffnen die sogenannten «Judicia anni» (oder Jahresprognostiken), die insbesondere im 15. Jahrhundert weit rezipiert wurden und zu den frühesten gedruckten Texten gehören. Judicia anni sind als «Gebrauchsliteratur» einzuschätzen, deren Inhalt zukünftige Ereignisse und Entwicklungen prognostiziert. Wenngleich sie damit der Geschichtswissenschaft, anders als Chroniken oder Urkunden, nicht als unmittelbare Lieferanten von Information über Geschehenes dienen können, eröffnen sie doch reichhaltige Einblicke in die Vorstellungswelten der betreffenden Zeit: Wie nahm man die Welt wahr? Welche Orte, Institutionen und Gegenstände betrachtete man als wichtig genug, um einschlägige Prognosen abzugeben? Welche Vorstellungen, Erwartungen und Ängste hatte man gegenüber der Zukunft?
Der Vortrag möchte zunächst die Relevanz dieser Fragestellungen aufzeigen, um dann an ausgewählten Beispielen exemplarische Einblicke in die Struktur und Inhalte dieser bislang kaum bearbeiteten Texte zu geben.

- Plakat
- Flyer
- Vortragsankündigung: Prof. Dr. Volker Leppin (17.10.2016)
- Vortragsankündigung: Prof. Dr. Monika Unzeitig/Prof. Dr. Thomas Kuhn (07.11.2016)
- Vortragsanküdnigung: Dr. Britta-Juliane Kruse (21.11.2016)
- Vortragsankündigung: Prof. Dr. Gerhard Weilandt (05.12.2016)
- Vortragsankündigung: Dr. Clemens Kosch (09.01.2017)
- Vortragsankündigung: Prof. Dr. Walter Werbeck (23.01.2017)
Bisherige Vortragsreihen
Zeitraum | Thema |
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Wintersemester 2021/22 | Mittelalterliche Konstruktionen von Biographien, Herkunft und Provenienz // Fortsetzung |
Wintersemester 2020/21 | 25 Jahre Mittelalterzentrum Greifswald - Mittelalterliche Konstruktionen von Biographien, Herkunft und Provenienz |
Wintersemester 2019/20 | Das Eigene und das Fremde im Mittelalter |
Wintersemester 2018/19 | Zukunft im Mittelalter |
Wintersemester 2017/18 | Farbiges Mittelalter |
Wintersemester 2016/17 | Kontinuitäten im Wandel. Praktizierte Frömmigkeit zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit |
Wintersemester 2015/16 | Rituale im Mittelalter. Inszenierung - Ordnung - Symbolik |
Wintersemester 2014/15 | Personen – Kult. Prominenz im Mittelalter |
Wintersemester 2013/14 | Buch – Kultur. Interdisziplinäres zu Schrift und Bild im Mittelalter |
Wintersemester 2012/13 | Einheit oder Vielfalt im europäischen Mittelalter? |
Wintersemester 2011/12 | Das Meer im Mittelalter. Raum - Erfahrung - Grenze |
Wintersemester 2010/11 | Tierisches Mittelalter |
Wintersemester 2009/10 + Sommersemester 2010 | Erziehung und Bildung im Mittelalter |
Wintersemester 2008/09 | Technik im Mittelalter |
Wintersemester 2007/08 | keine |
Wintersemester 2006/07 | Hofkultur in Mittelalter und Früher Neuzeit |
Wintersemester 2005/06 | Natur und Geist. Von der Einheit der Wissenschaften im Mittelalter |
Wintersemester 2004/05 | Sprache im Mittelalter |
Wintersemester 2003/04 | Landschaften im Mittelalter |
Wintersemester 2002/03 | Das Papsttum im Mittelalter |
Wintersemester 2001/02 | Imagination und kulturelle Praxis im Mittelalter |
Wintersemester 2000/01 | Medien der Kommunikation im Mittelalter |
Wintersemester 1999/2000 | Philosophie im Mittelalter. Ihre Ausdrucksformen in Kunst, Wissenschaft, Literatur und Geschichtstheorie |
Wintersemester 1997/98 | Randgruppen im Mittelalter |
Wintersemester 1996/97 | Lebendiges Mittelalter |
Wintersemester 1995/96 | Mittelalterforschung interdisziplinär |
Sommersemester 1995 | Mittelalterforschung heute |