In der Lyrik der Gegenwart wird das Gedicht wiederholt mit einem Zelt verglichen. Dieses Bild entwirft die Vorstellung von einer Geborgenheit, die man von Ort zu Ort mitnehmen kann; es imaginiert eine Haltung zur Welt, die für die sinnliche Wahrnehmung der Umgebung offen bleibt, und es verweist mit der Zeltplane, die sich wie ein Filter zwischen die Person und ihre Umgebung schiebt, auf ein Medium, das diese Wahrnehmung transformiert. Damit sind drei Aspekte skizziert, mit denen Gedichte der Gegenwart auf die Transformationsprozesse reagieren, die die sozialwissenschaftliche Theoriebildung als charakteristisch für die Spätmoderne beschreibt. Der Vortrag möchte zeigen, wie Lyrik diese Erfahrung einer sich gesellschaftlich, ökonomisch, ökologisch und kulturell schnell verändernden Welt zur Darstellung bringt.
Yvonne Al-Taie ist Privatdozentin und Akademische Rätin a. Z. am Institut für Neuere Deutsche Literatur und Medien der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Sie studierte Kunstgeschichte, Neuere deutsche Literaturwissenschaft und Systematische Theologie an der Universität des Saarlandes und am Trinity College Dublin und wurde 2012 mit einer Arbeit zur Sprach- und Bildtheorie der deutschen Frühromantik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena promoviert. Sie war Gastprofessorin am CEUS | Cluster für Europaforschung der Universität des Saarlandes und hatte Fellowships an der Yale University, der Klassik Stiftung Weimar und der Universität Bern inne. Im akademischen Jahr 2025/26 ist Yvonne Al-Taie Junior Fellow am Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald.
Moderation: Professor Dr. Eckhard Schumacher
»Zeltwort«. Die flüchtige Gegenwart des Gedichts
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