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IFZO @ CBSE 2019 Gdansk

Ein Bericht

Der Eindruck, den man von Programm und Diskussionen gewann, trügt nicht: die Tagung der Baltic Studies in Danzig 2019 bot auch in diesem Jahr die größte Auswahl an Forschungsinhalten, Konzepten und Diskussionen im Bereich der Ostseeraumforschung in Europa. Der Veranstaltungsort war ebenso spektakulär wie passend. Dass der Hausherr des Zentrums der „Solidarność“ Bewegung und ehemalige polnische Präsident, Lech Wałęsa, höchst selbst die Tagung mit einer lebhaften Einführung zur Vergangenheit und Zukunft der Solidarität eröffnete, war ein publikumswirksamer wie auch in vielerlei Hinsicht anregender Auftakt. Dieser wurde neben dem Thema Solidarität auch von der Frage nach der „Größe“ von „Baltic“ geprägt. Die Danziger Tagung hatte sich nämlich auch auf die Fahnen geschrieben, die Enge der 3Bs (EST, LAT, LIT) zu überwinden und damit die räumliche Dimension der Baltic Studies in Richtung Baltic Sea Region Studies/ Ostseeraumforschung zu öffnen. Letzterer räumlicher und inhaltlicher Fokus beinhaltet insbesondere die Forschung der Greifswalder Wissenschaftler*innen, die diese Expansion deshalb durchaus begrüßten. Um es vorwegzunehmen, die Engführung wurde nicht ganz überwunden, aber ein Anfang war gemacht.

Die thematischen Streams der Tagung spiegeln die aktuell brisanten Forschungsfragen im Ostseeraum wieder. Im Fokus standen dabei insbesondere die Themen „Sicherheit“ und „Medien“. Kulturwissenschaftliche Schwerpunkte bildeten die Sing- und Chorkultur im Ostseeraum sowie der Dauerbrenner Geschichtsschreibung. Ein Thema hat es nur zu einem „ausgewählten Panelstatus“ gebracht, die Digitalisierung. Aber der ausgewählten Reihe nach:

Die politikwissenschaftlichen Panels zeigten eine überzeugende Bandbreite zu Sicherheitsfragen und Krisenphänomenen im Ostseeraum, die zwar nicht erst mit den jüngsten Auseinandersetzungen im östlichen Europa aufgekommen sind, aber hierdurch derzeit eine wachsende Aufmerksamkeit genießen und so auch deren Erforschung. Neben dem Wandel der Diplomatie und der Rolle der Außenministerien im Ostseeraum (Didzis Klavins, Riga), der Lage der Banken in den Baltischen Staaten (Klemens Grube, Greifswald), oder der kritischen Auseinandersetzung mit Fakten, Ideologie und Wahrheit (Arvydas Grišinas, Uppsala), reflektierten die Teilnehmer weiterer Panel über die historische Dimension der gegenwärtigen estnischen parlamentarischen Rechte (Andres Kasekamp, Toronto), estnische politische Eliten und politische Innovationen (Joseph Ellis, Wingate NC), die finanziellen und ideologischen Unterstützer von NGOs der polnischen und russischen Minderheiten in Litauen (Monika Frėjutė-Rakauskienė, Vilnius) und die Beziehungen von Wirtschaft und Politik in Litauen (Ainius Lašas, Kaunas). Obwohl hier aufgrund der Parallelsektionen nur eine Auswahl an Themen Erwähnung finden, zeigen sie die Bandbreite der aktuellen (globalen) politikwissenschaftlichen Forschung zum Ostseeraum.

Ähnlich divers zeigten sich wie immer die geschichtswissenschaftlichen Panels, allerdings in recht unterschiedlichen Qualitäten und zuweilen anstrengend, wenn die Hälfte der Vortragenden in letzter Minute absagte, der Chair nicht kam und die Vortragstechniken noch nicht eingeübt waren. Und doch kam es zu erhellenden Erkenntnissen, wenn für die Zwischenkriegszeit die Rolle Japans in der Außenpolitik Lettlands (Sonoko Shima, Tokyo) untersucht oder die wechselvolle Geschichte der staatlichen Organisation des „kleinen“ Grenzverkehrs zwischen Litauen und Lettland (Leonas Nekrašas, Vilnius) während der ersten Unabhängigkeit vorgestellt wurde.

In einem Buchpanel (Jörg Hackmann, Stettin; Miloš Režník, Warschau; Alexander Drost, Greifswald) zur polnischen Übersetzung von Michael Norths „Geschichte der Ostsee“, die in dieser Form die am weitesten überarbeitete Ausgabe des Originals von 2011 ist, wurde insbesondere der inhaltlich-räumliche Ansatz der Greifswalder Ostseeraumforschung gelobt (Bradley Woodworth, New Haven). Dieser geht weit über die drei Baltischen Staaten hinaus und konstruiert jeweils andere Ostseeräume aus den prägenden kulturellen und ökonomischen Beziehungen zwischen den verschiedenen Akteuren in verschiedenen Jahrhunderten.

Die Diskussion zu Inhalt, Form und Gestaltung der Geschichtsschreibung im Ostseeraum geriet allerdings zu einer interessanten Mischung aus Egopflege und Buchvorstellung; weniger zu einer richtungsweisenden Diskussion neuer und alter Medien und ihrer Rolle, die interessanten und oftmals auch richtungsweisenden Inhalte der Ostseeraumforschung für nächste Generationen zugänglich zu machen bzw. überhaupt noch eine Öffentlichkeit zu erreichen. Gleichzeitig wurde auch der Einfluss der neuen Medien auf das Erzählen und damit verbreiten von Wissen komplett von den Teilnehmern ausgespart, die aber (durchaus verdient!) als die wichtigsten Vertreter des Faches gelten. Da hilft es auch nicht zum wiederholten Mal das gelungene Handbuch „Das Baltikum“ zu preisen, wenn es die Studierenden nicht mehr in gedruckter Form in die Hand nehmen.

Die führende Rolle in der Wissensvermittlung via neuer Medien haben dabei die zahlreich vertretenen Kolleg*innen der Medienstudien übernommen, die allerdings auch den Vorteil haben, schon wegen ihrer Methoden neue Vermittlungswege zu nehmen. Wenn es beispielsweise um die Diskreditierung von etablierter bzw. seriöser Presse bei den vergangenen Wahlen in Lettland geht (Anastasija Tetarenko (Riga), dann sind es die Analysen der sogenannten sozialen Medien und ihrer Formate, die spezifische Inhalte und deren Wahrnehmungen beeinflussen. Vergleichbare Analysen des virtuellen Nachrichtenkonsums und der Wandel von Information zu Infotainment (Raivis Vilūns, Riga) oder die große Frage der Medienkompetenz im Umgang mit Information und Desinformation (Klinta Ločmele, Riga) trugen zu einer regen Diskussion des Umgangs mit Falschinformationen bei, in der auch die Rolle der russischen Desinformation in den sozialen Medien der Baltischen Staaten (Monika Hanley, Riga) sowohl als Bildungs- als auch Sicherheitsfrage erkannt wurde.

Am Ende bestätigte dieser dreizehnte internationale Austausch von Wissenschaftler*innen über die Erforschung sozialer, kultureller, ökonomischer und politischer Entwicklungen im Ostseeraum die Erkenntnis von Kazimierz Musiał, Politikwissenschaftler der Universität Danzig und Mitorganisator/-gastgeber dieser Tagung, dass der Austausch der Wissenschaften in und über die Ostsee auch in Zeiten zunehmender nationaler (Bildungs)Perspektiven noch funktioniert und valide Forschungsergebnisse hervorbringt.

Alexander Drost  

Für weitere Informationen klicken Sie hier oder besuchen Sie die Webseite der 13th Conference on Baltic Studies in Europe 2019: Baltic Solidarity (http://cbse2019.systemcoffee.pl/).


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