Unter dem Titel Cultural Landscape: Content, Perception, Transformation. The Baltic States in European Garden Culture lud die Böckler-Mare-Balticum-Stiftung zu der Auftaktsveranstaltung ihres zweijährigen Forschungsschwerpunktes vom 14.–17. September 2019 nach Riga ein, die sie in Kooperation mit der Werner Reimers Stiftung (Bad Homburg) und der Lettischen Akademie der Wissenschaften ausführte. Als erste Sondierung des Feldes angelegt, war das Ziel der Konferenz, Experten aus der Gartengeschichte, Denkmalpflege und Kunstgeschichte aus den entsprechenden Ländern zusammenzuführen, um einerseits einen Überblick über Forschung und Objekte zu erhalten, andererseits Forschungsperspektiven zu eruieren. Entsprechend weitgespannt waren die Themen und Ansätze.
Zwei Vorträge wiesen trotz ihrer unterschiedlichen Zugänge einen einführenden Charakter auf, insofern sie Leitfragen herausstellten, die sich durch die Tagung zogen. Zum einen sind dies die philosophischen Überlegungen Igor Šuvajevs (Riga) zur Kultur als natura naturans und natura naturata, in der sich Erinnern und Vergessen auf vielfältige Weise als geschichtete Landschaften widerspiegeln. Zum anderen zeigte Iris Lauterbach (München) die vielfältigen Ansätze einer historischen Gartenforschung auf mit denen auch das Forschungspotential in Hinsicht auf das Gebiet der baltischen Staaten offenbar wurde. Nachdrücklich betonte sie vor allem aber auch die bedeutsame Rolle der historischen Gärten im Klimawandel.
An die gartenhistorischen Perspektiven knüpften vier weitere Vorträge an. Barbara Werner (Warszawa) stellte das von Izabela Czartoryska verfasste Buch Various Thoughts on Garden Establishing vor und zeigte seinen Einfluß auf die Gestaltung von Gärten des 19. Jahrhunderts wie Łazinki in Warschau auf. Der Vortrag von Agnese Bergholde-Wolf (Marburg) widmete sich dem ersten Gartenbaudirektor Rigas, Georg Kuphhaldt und seinem weitgespannten Engagement bei der Gestaltung von Gärten im Baltikum, der Krim und Berlin. Cord Planning (Bad Muskau) stellte das familiäre Netzwerk der baltischen Adelsfamilie Byron und ihre Gartenneuanlagen als produktiver Moment nach der Abdankung, aber auch Form der Verpflanzung einer baltischen Adelsfamilie vor. Deima Katinaitė (Vilnius) sprach über eine besondere Art des Gartenkabinetts als Ort der Forschung und Sammlung zur lokalen Geschichte anhand der sog. Baubly im Garten von Dionizas Poška/Dionizy Paszkiewicz, das in Form eines ausgehöhlten Baumstumpfs tatsächlich wie metaphorisch in der Geschichte verwurzelt war. Die Rolle des Gartens als Erinnerungsraum erhielt dergestalt eine weitere Dimension. Auf die erinnerungsgeschichtlichen Aspekte ging auch Juan Maiste (Tartu) in seinem Vortrag über Alexander von Keyserling ein.
Über die Vergangenheit und Gegenwart der Bisochomanie als ein Mythos referierte Giedre Mickunaite (Vilnius), dabei seine Transformation von einem Jagdspektakel zu einem Aspekt des Umweltschutzes aufzeigend. Daraus leitet sie auch ihre abschließende Frage ab, wie mit Habitaten umzugehen sei, die nicht auf den Menschen ausgerichtet sind. Die Frage nach dem Stellenwert von Natur im Kontext der Urbanisierung nahm auch Antje Kempe (Greifswald) in ihrem Vortrag auf und diskutierte sie anhand von Neugestaltungen von ehemaligen Hafen- und Industriegebieten im Ostseeraum.
Eine zeitgenössische Perspektive trat auch beim Vergleich der sowjetischen und heutigen Stadtbegrünung in Lettland in der Präsentation von Helena Gūtmane (Jelgava) hervor, neben vielen Unterschieden offenbarte sich als Konstante allerdings die auf Eigeninitiative und Selbstorganisation zurückgehende Gestaltung von kleinen Grünflächen. Ebenso präsentierte Jens Spanjer (Schloß Dyck) mit dem European Garden Heritage Network (EGHN) eine europäische Dimension wie zeitliche Verknüpfung von historischen Gartenanlagen, zeitgenössischen Gärten in der heutigen Wahrnehmung und einer immer wichtiger werdenden Frage des Managements und Vermarktung. Wahrnehmung und Aushandlungsprozesse sahen zuvor bereits Heikki Hanka und Helena Lonkila (Yuvaskyla) in ihrer Vorstellung des Studiengangs Cultural Environments an der Universität von Yuvaskyla als tragende Aspekte des Umgangs mit Kulturlandschaften. Auf eine andere Art der Vermarktung ging schließlich auch Dalia Klajumienė (Vilnius) ein, in ihren Ausführungen zum commercial gardening in Vilnius des 19. Jahrhunderts, das einen wesentlichen Beitrag zu dem Wandel des Gärtnerns in eine allgemeine Mode leistete.
Fragen zur Erhaltung, Sicherung historischer Bestände aber auch Neunutzung, Anpassung von Gartenanlagen wurden auch während den Besichtigungen von Sigulda, Turaida, Ungurmuiža, Cesis, Rauna und Alūksne diskutiert. Ebenso hob Yannis Kreslin (Stockholm) in seiner kongenialen Zusammenfassung der Tagung die Transformationen von Natur noch einmal hervor, dabei vor allem auf die Vorstellung von Geschichte als Garten zielend.
Deutlich wurde insgesamt, dass die Gartenkunst einen wesentlichen Stellenwert im kulturellen Erbe der baltischen Ländern einnimmt, nach wie vor jedoch innerhalb der Forschung sowohl in der deutschen wie auch baltischen Kunstgeschichte marginalisiert ist. Ausserdem, dass die gegenwärtigen Nutzungsperspektiven der historischen Anlagen stark von nationalen wie ökonomischen Interessen gekennzeichnet sind, die einerseits die verschiedenen Dimensionen der Übertragung kennzeichnen, andererseits je unterschiedliche Transformationen der Vergangenheit aufzeigen – relevante Aspekte des Clusters Die Gegenwart des kulturellen Erbes.
Text: Antje Kempe