Die Arktis wurde in den letzten Dekaden zunehmend zum Spielball geopolitischer und -ökonomischer Interessen. Aufnahmen von schmelzenden Eisbergen sowie von Eisbären auf der Suche nach Eis ließen wirkmächtige Bilder entstehen, durch welche diese Region als Teil eines fragilen Ökosystems im allgemeinen Bewußtsein verankert wurde. Trotzdem erfuhr die Arktis bisher außerhalb der skandinavischen Forschungslandschaft in den Geisteswissenschaften nur marginale Aufmerksamkeit.
Eine institutionell breit aufgestellte Kollaboration aus dem Nordeuropa-Institut der Humboldt Universität zu Berlin mit dem ebenfalls dort angesiedelten Institut für Kunst- und Bildgeschichte sowie der Forscher*innengruppe WONA (Worlding Northern Art) an der Universität Tromsø – der Arktischen Universität Norwegens – unternahm nun mit dem Workshop Mediating the Arctic and the North. Contexts, Agents, Distribution, der vom 28.–29. Januar 2021 digital stattfand, einen initialen Schritt, dies zu ändern. Als erste Sondierung des Feldes angelegt, war das Ziel, wie die Organisatorinnen Linn Burchert (Berlin), Marie-Theres Federhofer (Berlin) und Stephanie von Spreter (Tromsø) in der Einführung darlegten, norwegische und deutsche Forscher*innen zusammenzubringen und zu eruieren, wie die Bildproduktion in und über die Arktis angesichts von kolonialen und ökologischen Diskursen zu erforschen sei.
Der gewählte Zugang der Vermittlung bezog sich dabei nicht nur auf eine mediale Ebene, sondern schloß wie im Titel formuliert auch institutionelle und damit verbundenen Fragen nach Kontext, Rekontextualisierung, Akteur*innen und Verhandlung ein. Entsprechend weitgespannt waren die Themen und Ansätze, die zwischen der frühen Fotografie des 19. Jahrhunderts bis zu aktuellen Arbeiten und Ausstellungen reichten. Drei Schwerpunkte zeigten sich in der Zusammenschau der Vorträge auf:
1) Der erste fokussiert auf die Problematik, wie Landschaft und indigene Bevölkerungsgruppen „entdeckt“ und medial repräsentiert wurde. Hierbei spielten v.a. die soziokulturellen Bedingungen, die auch das Verhältnis zwischen Fotograf*innen, Betrachtenden und ihren zumeist objektivierten, ethnologisierten indigenen Dargestellten bestimmten, eine wesentliche Rolle. Legen diese doch offen, welche Stereotypen in diesen Sichtweisen (re-)produziert wurden.
2) Ein zweiter Fokus lag auf dem Verhältnis zwischen einer kulturellen tief verankerten Imagination der Arktis und den tiefreichenden Eingriffen in die Landschaft u.a. durch den Bergbau.
3) Daraus resultierte ein dritter Komplex, in welchem die Rolle der Arktis in den anhaltenden Debatten zum Anthropozän und Klimawandel diskutiert wurde. Insbesondere mit den letzten beiden Aspekten wurde die Frage berührt, die auch im Forschungsbereich zur Gegenwart des kulturellen Erbes untersucht wird, wie Landschaften in ihrem beständigen Wandel zwischen Erinnern, Bewahren und materieller Gestaltung konstituiert werden kann.
Unter dem ersten Punkt lassen sich die Vorträge subsummieren, die unterschiedliche Künstler*innen vorstellten wie die Dänin Emelie Demant Hatt, die mit ihren Fotografien und Büchern über die Sami in Nordschweden mit den "ethnografischen Konventionen" dieser Zeit brachen (Hanna Horsberg Hansen, Tromsø) oder den ersten professionellen grönländischen Fotografen John Møller, der die Nachfrage nach ethnologischen Fotografien von Ureinwohner*innen bediente, die einerseits koloniale Herrschaftsverhältnisse produzierten, andererseits aber auch Konventionen schuf, die zur Etablierung grönländischer Selbstidentität beitrugen (Ingeborg Høvik, Tromsø). Darüber hinaus wurde anhand ihrer Arbeit Arctic Hysteria IV aus dem Jahr 1997 das komplexe Œuvre of Pia Arken diskutiert, deren Biografie eng mit den Dänisch-Grönländischen Prozess der Kolonisierung verknüpft ist, was sie in Verbindung mit Fragen der Konstruktion von Geschlechterbildern nachdrücklich in ihren Arbeiten thematisierte (Stephanie von Spreter, Tromsø). Die Problematik mittels welcher Museumsinszenierungen Sami Kultur ausgestellt wird, wurde anhand des Künstlers Iver Jåks vorgestellt, der eine Indigisation von ethnografischen Objekten vornahm (Hanne Hammer Stien, Tromsø). Insgesamt zeigten die Vorträge auf, dass insbesondere der Fokus auf Künstlerinnen eine Verschiebung in der Wahrnehmung der Arktis erzeugt, die dem männlich dominierten Entdeckernarrativen und damit verbundener dokumentarisch, ethnologischen Bildproduktionen anderen Formen der Verhandlung von Kulturen und Selbst- und Fremdverortungen gegenüberstellen.
Unter den zweiten Schwerpunkt lassen sich folgende Präsentationen fassen: Der Vortrag von Elisaveta Dvorakk (Berlin) zu den Arbeiten der Schweizer Fotografin Annemarie Schwarzenbach zeigte den Übergang zu der industriellen Wahrnehmung des Nordens auf. Schwarzenbach schuf mittels der sich etablierenden sozial kritische Fotografie der 1930er Jahre eine Art Gegenbild zu dem Mythos der Alpen, der lange auch für die Wahrnehmung des Nordens massgeblich war und der zunehmend durch die Nationalsozialisten vereinnahmt wurde. Unter dem Schlagwort Black Arctic wurde durch die Präsentation von Bergbau und Abbau in dem Vortrag von Elin Haugdal (Tromsø) ebenfalls ein quasi Gegenbild zu den Imaginationen der weiten, weißen Landschaft des Nordens vorgestellt. Dabei fragte sie u.a., wie diese Form der „Restaurierung“ der Landschaften durch die Entfernung jeglicher Infrastruktur des Abbaus im Widerspruch zu den Ansprüchen eines kulturellen Erbes steht, das das materielle Bewahren – eben auch von Formen der Industrialisierung – in den Vordergrund stellt. Inwiefern kollidieren hier die Bewahrungsansprüche mit den Vorstellungen einer tief in der Romantik verankerten Vorstellung einer unberührten Landschaft? Die Künstlerin Mette Tronvoll (Oslo) stellt ihre eigenen Arbeiten vor, die eine Art Bindeglied zwischen den Fragen nach Erbe und Landschaft, als Archiv von kulturellen Praktiken und Natur, schufen. Die Einblicke in ihre Arbeitsweise veranschaulicht, dass die künstlerische und wissenschaftliche „Entdeckung“ und Erforschung der zirkumpolaren Gebiete einem Wandel unterworfen ist, die ökonomische Ausbeutung allerdings immer noch präsent ist. Daran schlossen sich Vorträge an, die stärker auf ökologische Diskurse abhoben und damit dem dritten Schwerpunkt des Workshops. Maike Teubner (Nürnberg) diskutierte hierzu Arbeiten von Tyrone Martinssons über den Svalbard Gletscher. Gleich einer empirischen Versuchsreihe zeigt er durch die Verbindung von alten Fotografien und Grafiken mit heutigen Aufnahmen der Gletscher deren Schrumpfen auf. Daher stellte Teubner pointiert fest: Mediating the Arctic means mediating the climate change. Die damit verbundene Frage nach Inszenierung und ihren Akteuren wurde schließlich von Linn Burchert (Berlin) anhand der Analyse von Ausstellungen im Zusammenhang mit Klimagipfeln und anderen politischen Events vorgestellt. Dies zeigte nicht zuletzt die Fragwürdigkeit der durch beispielsweise schmelzender Eisfiguren und –blöcke geprägten Installationen, die Emotionen und Imaginationen hervorrufen, die vor allem Stereotype verfestigen.
Als eine erste Sondierung gedacht, zeigte der Workshop das Potential der Arktis als Denkfigur wie Raum auf, um gegenwärtige postkoloniale und ökologische Diskurse neu zu denken.
- Antje Kempe