Greifswalder Netzwerk Medical Humanities

Was heißt „Medical Humanities“?

Medical Humanities ist ein transdiziplinäres Forschungs- und Praxisfeld, das inhaltlich durch den Fokus auf Themen rund um Medizin, Gesundheit, Krankheit, Pflege oder Tod definiert ist. Die Themen werden dabei nicht ausschließlich aus medizinisch-naturwissenschaftlicher Sicht erforscht (dafür steht das „medical“), sondern ebenfalls – und primär – aus Sicht der sog. „Humanities“. Dieser englischsprachige Begriff umfasst in etwa die wissenschaftlichen Disziplinen, die in der deutschen akademischen Systematik als Geistes-, Sozial-, Kultur- und Verhaltenswissenschaften gelten. Derzeit gibt es keinen deutschen Begriff für die „Medical Humanities“, der genau dieses Spektrum an Disziplinen und damit die konzeptuelle Breite des Ansatzes adäquat erfassen würde.

Es gibt eine Reihe von Disziplinen, die sich traditionell mit medizinischen Themen beschäftigen und diese aus einer geisteswissenschaftlichen Perspektive beleuchten. Die Medizinethik und Medizingeschichte zählen zu den klassischen Disziplinen auf diesem Gebiet. Aus dieser Richtung plädiert Volker Roelcke (2017) für eine „kulturwissenschaftlich kompetente Heilkunde“ (Titel: Vom Menschen in der Medizin. Für eine kulturwissenschaftlich kompetente Heilkunde. Gießen: Psychosozial-Verlag). Dieses Verständnis entspricht in großen Teilen dem Verständnis von Medical Humanities, es deckt sich aber nicht vollständig damit. Zum einen geht es nicht nur um die kulturwissenschaftliche Expertise (denn dadurch wäre beispielsweise die Medizinpsychologie ausgeschlossen), zum anderen geht es nicht nur darum, die Medizin über ihren Tellerrand hinaus zu erweitern, sondern – im Idealfall – um den gegenseitigen Austausch zwischen den beteiligten Disziplinen. Roelckes Plädoyer müsste man entsprechend erweitern, was zu einer sperrigen Formulierung führen würde wie etwa geistes-, sozial-, kultur- und verhaltenswissenschaftlich kompetente Heilkunde im engen Austausch mit nicht-medizinischen und nichtnaturwissenschaftlichen Disziplinen. Der etablierte englische Begriff Medical Humanities ist deutlich griffiger und sachlich treffender.

Die schwere Übersetzbarkeit hängt damit zusammen, dass es aktuell in Deutschland diese transdisziplinäre Herangehensweise an medizinische Themen nur sehr punktuell gibt und die systematische transdisziplinäre Herangehensweise kaum in der deutschsprachigen Forschungslandschaft und medizinischen Praxis vertreten ist. Wir verwenden den englischen Begriff, um dieses breite Konzept in die deutschsprachige Forschungslandschaft zu übertragen, sie darin zu verorten und zu verankern. Gleichzeitig möchten wir an die Tradition der Medical Humanities anschließen, die es im englischsprachigen Ausland bereits seit den 1970er Jahren gibt.

Wir schließen uns dem Verständnis von Medical Humanities an, das die League of European Research Universities (LERU) 2013 in ihrer Stellungnahme (LERU Note) „Essential SSH Research für the Societal Challenge Health, demographic change and wellbeing“ in Bezug auf das Förderprogramm Horizon 2020 formulierte (Punkte 15 und 16): 

Aufbauend auf dieser kurzen Definition haben 2014 die Akademien der Wissenschaften Schweiz weitere Ziele und Funktionen der Medical Humanities benannt:

An diesem Verständnis orientieren wir uns. Wir ermitteln und bündeln die in Greifswald vorhandenen Schwerpunkte und Potenziale in Forschung und Lehre und arbeiten an der Formulierung einer für Greifswald spezifischen Ausprägung der Medical Humanities.

 

Kontakt

Greifswalder Netzwerk Medical Humanities | Sprecherin: Dr. Pavla Schäfer | medical-humanitiesuni-greifswaldde