Die Figur Wielands, des berühmtesten Schmiedes des Nordens, steht in der altnordischen Überlieferung gleichermaßen für exzeptionelle Kunstfertigkeit wie exorbitante Gewalt. Rätselhaft ist besonders, wie der Schmied nach seiner fürchterlichen Rache an einem grausamen König plötzlich in die Luft emporsteigen kann und davonfliegt. Es wird gefragt, wie das Eddalied Vǫlundarkviða (‚Wielandlied‘) diesen unerklärten Moment inszeniert, und wie sich darin verschiedene Traditionslinien – die Schwanenmädchenfabel, Vorstellungen von Alben, Zwergen oder schamanistischen Praktiken – überlagern. Im Zentrum steht eine dingorientierte Lesart: Wieland erscheint als Meisterschmied, der nicht nur Schmuck und Waffen, sondern möglicherweise auch ein Fluggerät erschafft, das seine erzwungene Immobilität aufhebt. Durch den Vergleich mit anderen literarischen Quellen wie der Þiðreks saga af Bern (der altnordischen Bearbeitung des Dietrichstoffes) und Schmiedevorstellungen wird sichtbar, dass die Texte nicht nur mythische Figuren präsentieren, sondern als Imaginationsraum für Technikträume fungieren. Wielands Flug zeigt sich so weniger als übernatürliches Wunder, denn als Höhepunkt seiner Schmiedekunst – ein Werk, in dem sich Magie und Mechanik unauflöslich verbinden.
Kurzvita: Daniela Hahn ist Postdoktorandin am Institut für Nordische Philologie der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sie beschäftigt sich mit der altnordischen Sagaliteratur und den eddischen Heldenliedern und interessiert sich dabei besonders für soziale Hierarchien, Nebenfiguren und das Zusammenspiel von Handlung, Motivik und Erzähltechnik. Nach einer Dissertation zu Diebstahl und Raub in den Isländersagas. Einfallstore in die norröne Erzähl- und Vorstellungswelt hat sie sich der Bedeutung besonderer Objekte in altnordischen Erzählungen zugewandt. Zuletzt hat sie den Band Dingversammlung. Wirkmächtige Objekte in der altnordischen Literatur herausgegeben.
Moderation: Josef Juergens, MA