Themen und Termine
Eröffnung der Vortragsreihe „CHRISTUS KÖNIG? Perspektiven auf Christianisierung und Eroberung im europäischen Kontext“ des Mittelalterzentrums Greifswald
Die Missionen des heiligen Otto von Bamberg an der Ostsee in den 1220er Jahren waren ein Wendepunkt für die Integration Pommerns in den Kreis der christlichen Monarchien in Europa. Dies wurde bereits von seinen Zeitgenossen erkannt, und so kam es in der ersten Generation nach seinem Tod in den süddeutschen monastischen Milieus zu einer Debatte über das Phänomen seiner Heiligkeit und die Bedeutung seiner Erfolge bei der Bekehrung der Heiden. Die Hagiographie des heiligen Otto, die um die Mitte des 12. Jahrhunderts entstanden ist, zeigt dies deutlich. Der Vortrag behandelt ein wichtiges Thema in diesen Werken: die Betrachtung der Mission im Hinblick auf die Errichtung einer neuen Gesellschaftsordnung und der internationalen Politik. In einer Welt der ständigen Gewalt bedeutete die Verwirklichung des Friedens einen revolutionären Wandel.
Stanisław Rosik ist Mediävist und am Institut für Geschichte der Universität Wrocław tätig. Er ist Leiter der Forschungswerkstatt zur Frühgeschichte Mitteleuropas und Autor von über 300 Publikationen und der polnischen Übersetzung der lateinischen Vitae (Leben) des Heiligen Otto von Bamberg (2020). Des Weiteren ist er seit 2007 Mitglied der Historischen Kommission für Schlesien in Deutschland, seit 2017 Vorsitzender des Ständigen Komitees der Polnischen Mediävisten und seit 2024 Mitglied des Wissenschaftlichen Exzellenzrates beim Ministerium für Wissenschaft und Hochschulwesen in Polen. Seine Forschungsschwerpunkte sind: alte Slawen und ihre Religion, die Ursprünge Polens, Pommerns und Schlesiens, Mitteleuropa im Mittelalter, Historiographie und Hagiographie (10.-13. Jh.). Zu seinen wichtigsten Büchern zählen: Conversio gentis Pomeranorum. Studium świadectwa o wydarzeniu (XII wiek), 2010; Bolesław Krzywousty, 2013; The Slavic Religion in the Light of 11th- and 12th-Century German Chronicles (Thietmar of Merseburg, Adam of Bremen, Helmold of Bosau). Studies on the Christian Interpretation of pre-Christian Cults and Beliefs in the Middle Ages, 2020; Od Swarożyca do Świętowita. Przemiany religii Słowian nadbałtyckich w X–XII wieku, 2023.
Begrüßung: Dr. Christian Suhm
Moderation: Dr. Christine Magin
Veranstaltungsort: Alfried-Krupp-Wissenschaftskolleg
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Zugang zum virtuellen Hörsaal des Kollegs
Organisatorische Hinweise
Das Alfried Krupp Wissenschaftskolleg versucht, diese Veranstaltung auch live als Zoom-Meeting bereitzustellen, in dem sich Zuschauende über den Chat schriftlich beteiligen können.
- Wir freuen uns, wenn Sie bei der Einwahl in Zoom Ihren Klarnamen angeben. Selbstverständlich können Sie an der Veranstaltung auch unter einem Pseudonym teilnehmen.
- Eine Liste aller Teilnehmenden ist für alle Beteiligten während der gesamten Veranstaltung einsehbar.
- Während des Vortrages sind die Mikrofone der Zuschauenden alle automatisch stumm geschaltet, um keine störenden Hintergrundgeräusche zu erzeugen. Die Kamera der Zuschauenden kann gern von Ihnen während des Vortrages angeschaltet werden.
- Während der gesamten Veranstaltung können Wortmeldungen bzw. Fragen schriftlich im Chat gestellt werden.
Aufzeichnung
Die Veranstaltung wird aufgezeichnet, um sie für die Mediathek des Kollegs zu nutzen. In der Aufzeichnung wird nur der/die Vortragende, dessen/deren Präsentation sowie der Moderator/die Moderatorin zu hören bzw. zu sehen sein. Chatbeiträge werden nicht aufgezeichnet. Ein „REC“-Zeichen am Bildrand informiert die Teilnehmenden. Sobald alle Beteiligten an der Aufzeichnung der Nutzung zugestimmt haben und alle Nutzungsrechte vorliegen, wird die Aufzeichnung auch in der Mediathek zu finden sein.
Mit der Annahme des Christentums byzantinischer Prägung gerät die Rus‘ Ende des 10. Jahrhunderts in den Einflussbereich von Byzanz. Ein halbes Jahrtausend später wird das Großfürstentum Moskau das byzantinische geistige Erbe für sich allein beanspruchen. Während das aus heutiger Sicht wichtige Ereignis der Christianisierung in der byzantinischen Geschichtsschreibung unerwähnt bleibt, wird es in der rus'-ischen Überlieferung als friedlicher und freiwilliger Akt dargestellt. Der Vortrag nimmt das Narrativ der altrussischen Quelle, der sog. Nestorchronik, in den Blick und analysiert seine Konstruktion vor dem Hintergrund der historischen Ereignisse.
Anna Jouravel: Studium der Russistik und Indogermanistik in Berlin, Promotion in Halle (Saale) mit einer kommentierten Edition des altrussischen Pilgerberichts ‚Kniga Palomnik‘ des Antonij von Novgorod, Forschungsaufenthalt am Byzantinischen Institut der Serbischen Akademie der Wissenschaften in Belgrad. Derzeit wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Forschungsschwerpunkte im Bereich der sprachhistorischen Forschung und Editionsphilologie, der Erschließung und Aufbereitung süd- und ostslavischer schriftlicher Quellen und in der Integration von KI-Werkzeugen und Methoden der Digital Humanities in die slavistische Mediävistik.
Moderation: Ute Marggraff (Greifswald)
Veranstaltungsort: Historisches Institut, Domstraße 9a, Hörsaal 2.05
Über Jahrhunderte waren die Weiten des Atlantiks für die Europäer unbekannte Gewässer, bis die Kanarischen Inseln im 14. Jahrhundert in den Fokus überseeischer Interessen gerieten. Missionare, Sklavenfänger, Kaufleute und Konquistadoren aus Westeuropa und den italienischen Seerepubliken drangen nun mit ganz unterschiedlichen Interessen in diese neuen Gebiete vor. Als einzige Inselgruppe waren die Kanaren von indigenen Völkern bewohnt, die den Archipel in mehreren Migrationsschüben während der Antike besiedelt hatten. Sie verehrten Naturgottheiten und so war es eine gängige Legitimationsstrategie der Konquistadoren, den Eroberungskrieg als Kreuzzug zu legitimieren, mit dem man eine Bekehrung dieser „Heiden“ zum Christentum beabsichtige. Doch die ab 1402 begonnene gewaltsame Unterwerfung der Inseln ging mit einer Versklavung der indigenen Bevölkerung einher, die im Widerspruch zu den postulierten Missionsbestrebungen stand, konnte man doch nur Nichtchristen infolge eines gerechten Krieges zu Unfreien machen. Diese widersprüchlichen Motive und Interesse der beteiligten Akteure, Interventionen des Heiligen Stuhls, der Katholischen Könige und die Versuche der indigenen Bevölkerung, ihr Recht auf Freiheit einzufordern, werden Gegenstand meines Vortrags sein.
Moderation: Robert Friedrich (Greifswald)
Veranstaltungsort: Historisches Institut, Domstraße 9a, Hörsaal 2.05
Online-Zugang: https://uni-greifswald-de.zoom.us/j/89904841432
Forschungsgeschichtlich wurde die um 1200 entstandene Legendarische Saga über Olaf den Heiligen lange nur als Quelle für die von Snorri Sturluson verfasste Olafs saga betrachtet, deren Gestaltung eher einem historiographischen Anspruch als Königssaga entspricht. Der Vortrag möchte die Legendarische Saga als Text von eigenem ästhetischen Wert untersuchen und danach fragen, wie die Missionierung Skandinaviens dargestellt wird und welche Funktionen dies inner- und außertextlich impliziert.
Kathrin Chlench-Priber, Professorin für Ältere deutsche Literatur unter Einschluss des Nordischen an der Universität Bonn, forscht und lehrt in der skandinavistischen Mediävistik. Ihre Forschungsinteressen werden von der handschriftlichen Überlieferung mittelalterlicher Texte geleitet. Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der geistlichen und volkssprachigen Wissenstexte, der mittelalterlichen Literatur- und Sprachtheorien sowie der deutschsprachigen Lyrik des Hoch- und Spätmittelalters.
Moderation: Florian Schmid (Greifswald)
Veranstaltungsort: Historisches Institut, Domstraße 9a, Hörsaal 2.05
Online-Zugang: https://uni-greifswald-de.zoom.us/j/89904841432
Die Christianisierung Skandinaviens erfolgte nach Darstellung vieler Quellen überwiegend geleitet und propagiert vom König und/oder anderen Angehörigen der Oberschicht. Während Dänemark bereits ab der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts als christianisiert gelten kann, lässt sich Schweden erst gegen Ende des 11. Jahrhunderts als christlich ansprechen. Im Vergleich zum Verlauf in diesen Ländern erscheint die Annahme des Christentums auf Island als geradezu außerordentliches Ereignis. Trotz der vermeintlich abgelegenen Lage des Landes findet sie verhältnismäßig früh, im Jahr 999 oder 1000, statt. Präsentiert wird sie als pragmatische und mehr oder weniger friedliche Entscheidung auf dem Althing (alþingi), durch die nicht zuletzt die Autonomie der isländischen Bevölkerung vor Augen geführt wird. Wie die unterschiedlichen Quellen von diesem Ereignis erzählen, soll im Vortrag näher beleuchtet werden.
Irene Kupferschmied studierte Nordische Philologie, Germanistische Mediävistik und Deutsch als Fremdsprache an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sie verbrachte vier Semester am Háskóli Íslands in Reykjavík und schloss dort das BA-Studium Íslenska fyrir erlenda stúdenta/ Isländisch für ausländische Studierende ab. 2013 wurde sie an der Georg-August-Universität Göttingen promoviert, Thema der Dissertationsschrift waren die norrönen Marienmirakel. Seit 2007 arbeitet Irene Kupferschmied als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Skandinavischen Seminar der GAU Göttingen, unterbrochen von einem Semester an der CAU Kiel. Forschungsschwerpunkte sind die altnordische hagiographische Literatur sowie die Isländer- und Gegenwartssagas.
Moderation: Josef Juergens (Greifswald)
Veranstaltungsort: Historisches Institut, Domstraße 9a, Hörsaal 2.05
Online-Zugang: https://uni-greifswald-de.zoom.us/j/89904841432
Veranstaltungsort: Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald, Martin-Luther-Straße 14
Moderation: Isabelle Dolezalek (Berlin)
Plakat und Flyer bisheriger Vortragsreihen
Naturkatastrophen, Pandemien, Kriege: Wenn Menschen Krisen begegnen, heißt es oft, sie sollen diese als Chance begreifen, eine Redewendung, die manchmal zynisch wirkt, manchmal Hoffnung spendet. In Zeiten, in denen Krisen sich zu häufen scheinen, unternimmt die Vortragsreihe einen Blick in die Vergangenheit und fragt nach dem Umgang der Menschen des Mittelalters mit den Herausforderungen ihrer Zeit, die manchmal aber auch die Herausforderungen unserer Zeit sind.
Wer ist schuld am schlechten Wetter? Diese aus der heutigen Sicht des anthropogenen Klimawandels gar nicht unsinnige Frage wurde bereits in der chinesischen Tradition seit dem Altertum zum Ausgangspunkt von Überlegungen zum Zusammenhang zwischen dem Wohlverhalten von Regierenden oder Regierten und dem Witterungsgeschehen. Die Forschung hat sie unter dem Begriff der „Moralischen Meteorologie“ zusammengefasst. Ähnliche Deutungen nicht nur des Wetters, sondern auch anderer Himmels- und Naturphänomene hatten in vielen mittelalterlichen Gesellschaften während Krisenzeiten Konjunktur. Der Vortrag unterzieht Beispiele aus der Zeit zwischen 700 und 1100 einem transkulturellen Vergleich und verknüpft sie mit naturwissenschaftlichen Befunden zum physischen Hintergrund dieser Erscheinungen.
Kurzvita
Johannes Preiser-Kapeller ist Byzantinist sowie Global- und Umwelthistoriker, forscht an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und lehrt an der Universität Wien. Er untersucht die Geschichte globaler Verflechtungen, auch zwischen Klima und Gesellschaft. Zahlreiche Publikationen, u. a. Der Lange Sommer und die Kleine Eiszeit (Wien 2021) und Byzanz. Das Neue Rom und die Welt des Mittelalters (München 2023).
Veranstaltungsort: Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald, Martin-Luther-Straße 14
Aus der säkularisierten Sicht der gegenwärtigen Mentalität scheint fast trivial zu sein, wenn man sagt, dass Menschen Angst vor dem Tod haben. Welches Empfinden hatten die Menschen im Mittelalter im Bezug auf den Tod? Offenbar hatten Endzeitvorstellungen in einem christlichen Gesamtkontext entscheidende Konsequenzen für die Auffassung des Lebens selbst. Im Fokus meines Vortrages steht die Frage danach, wie im Mittelalter Musik vom existentiellen Phänomen des Todes Zeugnis ablegen konnte. Allgemeiner formuliert, möchte ich die Aufmerksamkeit auf folgenden Fragenkomplex richten: Wie verhalten sich die Menschen im Mittelalter angesichts des drohenden Todes? Welche Endzeitvorstellungen prägen ihren Umgang mit Leben und Sterben? Um diese Fragen anzugehen, möchte ich mich an ein sozialgeschichtliches Paradigma des französischen Historikers Philippe Ariès anlehnen, in dessen Werken die Frage nach dem Tod in ihrer mentalitätsgeschichtlichen Tragweite tiefgreifend reflektiert wurde. In einem zweiten Schritt werde ich dann Ariès’ Ansatz an die Musikwerke einer katalonischen Handschrift des 14. Jahrhunderts herantragen: Nach einer kurzen philologischen Einordnung dieser Quelle und einem analytischen Abriss ausgewählter Stücke, möchte ich die besprochene Musik im Hinblick auf die Frage nach dem Tod etwas näher betrachten.
Kurzvita: Matteo Nanni ist Professor am Institut für historische Musikwissenschaft der Universität Hamburg. Er wurde in Freiburg mit einer Arbeit zur Musik des 20. Jahrhundert promoviert worauf die Habilitation zur Musiktheorie des italienischen Trecento. Von 2010 bis 2015 war er Assistenzprofessor an der Universität Basel und Mitglied bei eikones (NFS-Bildkritik). Von 2015 bis 2021 war er Professor für historische Musikwissenschaft in Gießen. Er realisierte den Online Kurs „From ink to Sound: Decoding Musical Manuscripts“, war Co-Leiter des DFG-Verbundprojekts (D-A-CH): „Writing Music. Iconic, performative, operative, and material aspects in musical notation(s)“ und ist er Mitglied im Hamburger Cluster of Excellence „Understanding Written Artefacts“.
Veranstaltungsort: Hörsaal HS 2.05, Domstr. 9a (Historisches Institut)
Der Vortrag geht von der These aus, dass Wanderung, Flucht und Vertreibung konstitutiv für die narrative Inszenierung von ‚Herrschafts-‘ und ‚Weltgeschichte‘ sind. Am Beispiel der ältesten deutschsprachigen Verschronik, namentlich der ‚Kaiserchronik‘, liest er ausgewählte Viten als Teil mittelalterlicher Migrationsliteratur, die spezifische Angebote für einen Umgang mit existentiellen Krisen bereitstellt.
Kurvita
Julia Gold ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Arbeitsbereich Deutsche Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit an der Universität Bielefeld. 2014 wurde sie mit einer Arbeit zum frühneuhochdeutschen Hexereitraktat des Ulrich Molitoris an der Universität Würzburg promoviert. Von 2014 bis 2021 war sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-Projekt „Inszenierungen von Heiligkeit“ an der Universität Gießen. In ihrem Postdoc-Projekt beschäftigt sie sich mit der Figur des Tyrannen in der deutschen Literatur des Mittelalters.
Veranstaltungsort: Hörsaal HS 2.05, Domstr. 9a (Historisches Institut)
Seit der Zerstörung Pompejis und Herculaneums im Jahre 79 n.Chr. sind die Narrative Neapels von der Erinnerung an und der Furcht vor Katastrophen geprägt. Sowohl in der palimpsestartigen Gestalt der Stadt selbst als auch in den historischen und kunsthistorischen Beschreibungen Neapels sind die Brüche der Geschichte, die Vulnerabilität des Stadtkörpers und die Bedrohung durch die Natur abzulesen. In geradezu zyklischer Wiederkehr lösten Naturkatastrophen Transformationen der Stadt aus, die sich aus den Reaktionen auf das Unglück, der Akzeptanz, der Resilienz aber auch dem Widerstand erklären lassen. Viele (Re-)Konstruktionen von Kultstätten und Repräsentationsbauten, die Entstehung neuer religiöser Kulten sowie die Institutionalisierung neuer Rituale und Traditionen stehen in diesem Zusammenhang. Der Vortrag untersucht aus kunsthistorischer Perspektive den Umgang mit der Bewältigung von Katastrophen und das Leben mit dem Vulkan als identitätsstiftende Komponenten der neapolitanischen Bevölkerung.
Kurzvita:
Elisabetta Scirocco ist wissenschaftliche Assistentin an der Bibliotheca Hertziana-Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte. Sie ist spezialisiert auf mittelalterliche und frühneuzeitliche Kunst und Architektur mit Schwerpunkt auf Mittel- und Süditalien. Ihre Forschungsschwerpunkte sind historische Sakralräume und Fragen des kulturellen Erbes, wobei sie sich mit den verschiedenen Formen von Konservierung, Zerstörung und Rekonstruktion auseinandersetzt.
Veranstaltungsort: Hörsaal HS 2.05, Domstr. 9a (Historisches Institut)
15.01.2024, 18:15 Uhr - Rike Szill (Kiel): Klio spricht nicht. Zum Umgang mit Eroberung, Flucht und Trauma im späten Mittelalter
Man kann Menschen redensartlich nur vor und nicht in den Kopf gucken. Dieser Umstand gilt für vormoderne Kontexte von Krieg und Gewalt allzumal, sind die Personen ,von damals‘ doch schlechterdings nicht mehr persönlich zu befragen und böten darüber hinaus ohnehin nur eine beschränkte Perspektive auf die Ereignisse: Denn diejenigen, die von den Gewalthandlungen am meisten betroffen waren, hätte das Leid des Krieges angeblich verstummen lassen.
Diese Einsicht ist recht banal; bei genauerem Hinsehen lässt sie sich so aber auch gar nicht halten: Immerhin versuchten mittelalterliche Menschen immer wieder, über erlebtes Leid zu schreiben. Gerade hieraus erwächst den historisch arbeitenden Fachdisziplinen indes ein methodologisches Dilemma: Wie lässt sich aus historischer Perspektive über Ereignisse sprechen, die in der Tat als durch und durch ‚traumatisch‘ bezeichnet werden können? Und wie lässt sich zeigen, dass es trotz der Meistererzählung über die Omnipräsenz von Gewalt im Mittelalter eben kein einfaches Anliegen darstellte, Gewalt in Worte zu fassen, zu beschreiben und als Erzählungen erklärbar zu machen? Diesen Fragekomplex untersucht der interdisziplinär angelegte Vortrag exemplarisch anhand der Reaktionen auf die osmanische Eroberung Konstantinopels 1453 und rückt dazu die Schilderung von Gewalterlebnissen aus der Perspektive der Betroffenen in den Mittelpunkt.
Kurzvita:
Rike Szill ist Stipendiatin des Collegium Philosophicum an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Im Frühjahr 2023 erschien der von ihr gemeinsam mit Andreas Bihrer herausgegebene Sammelband ,Eroberte im Mittelalter‘, im November 2023 wurde sie mit einer Arbeit zu Trauma- und Diasporakonzepten nach der osmanischen Eroberung Konstantinopels promoviert. Zu ihren Schwerpunkten in Forschung und Lehre zählen neben Aspekten aus der Kultur- und Kommunikationsgeschichte die Geschichte sozialer Ungleichheiten im (östlichen) Mittelmeerraum, Jenseitsreiseliteratur sowie die mittelalterliche Kartographie.
Veranstaltungsort: Hörsaal HS 2.05, Domstr. 9a (Historisches Institut)
"Nordost. Die Region in der Mittelalterforschung" - Vortragsreihe
Wintersemester 2022/23
Welche Wege geht die Regionalforschung? Starre Modelle von Zentrum und Peripherie gehören der Vergangenheit an. Unter dem immer größer werdenden Einfluss globaler Forschungsperspektiven gilt es, Regionen in ihren eigenen Qualitäten und Dynamiken zu beschreiben und in lokalen und globalen Verflechtungen zu kontextualisieren. Dadurch wird die Regionalforschung immer anschlussfähiger für überregionale und auch international vergleichende Forschung, die sich – insbesondere in der Mediävistik – von heutigen politischen Zusammenhängen löst. Vor diesem Hintergrund fragt die Vortragsreihe des Greifswalder Mittelalterzentrums nach neuen methodischen und inhaltlichen Perspektiven der Regionalforschung im Nordosten Deutschlands. In sechs Vorträgen aus verschiedenen mediävistischen Disziplinen und aus der musealen Praxis werden methodische Überlegungen sowie konkrete Fallstudien kombiniert.
Plakat (pdf)
Flyer (pdf)
Montag, 8. November 2021, 18.15 Uhr: Prof. Dr. Michael Stolz, Universität Bern/ Fellow des Alfried Krupp Wissenschaftskollegs Greifswald
Wer war König Artus? - Spuren in der handschriftlichen Überlieferung
Alfried Krupp Kolleg Greifswald, Martin-Luther-Straße 14 (Der Vortrag findet präsent, mit Voranmeldung, statt und kann im digitalen Hörsaal des Krupp Kollegs verfolgt werden)
König Artus ist in der mittelalterlichen Literatur bekannt als Stifter der sagenhaften Tafelrunde, an der sich auserwählte Ritter versammeln. Seine Herkunft verbirgt sich in frühzeitlichen Nachrichten über einen keltischen König, der gegen die sächsischen Eroberer Britanniens gekämpft habe. Fassbar wird Artus in den pseudo-chronikalischen Texten des Geoffrey von Monmouth und Wace aus dem 12. Jahrhundert, die ihrerseits im Dienste der normannischen Herrscher Britanniens und ihrer Nachfolger stehen. Zur Regierungszeit Heinrichs II. Plantagenet baut der französische Dichter Chrétien de Troyes den Artusstoff zum höfischen Roman mit fiktionalem Charakter aus. Der Vortrag beleuchtet die Spuren, die König Artus in der volkssprachigen Dichtung des Mittelalters hinterlassen hat und legt dabei ein besonderes Augenmerk auf die handschriftliche Überlieferung.
Michael Stolz studierte Germanistik und Romanistik an den Universitäten in München (LMU), Poitiers und Bern. Nach der Promotion in Bern und einem dreijährigen Forschungsaufenthalt an der Universität Oxford habilitierte er sich in Bern mit einer Arbeit über mittelalterliche Text-Bild-Zyklen zu den Sieben freien Künsten (Artes liberales). Er hatte Professuren in Basel, Göttingen, Paris (Sorbonne) inne und übernahm 2006 den Lehrstuhl für germanistische Mediävistik an der Universität Bern. Dort leitet er u. a. die Digitalprojekte zur Neuedition des ›Parzival‹ Wolframs von Eschenbach und zur Rekonstruktion der Bibliothek des Frühhumanisten Sigmund Gossembrot. Nach Forschungsaufenthalten in Freiburg/Br. (FRIAS) und Stanford ist Michael Stolz gegenwärtig Senior Fellow des Alfried Krupp Wissenschaftskollegs Greifswald.
Adam – Christus – Karl der Kahle. Attributionen und Konnotationen karolingischer Kunst - Eröffungsvortrag
Montag, 9. November 2020, 18.15 Uhr - Dr. Philippe Cordez, Deutsches Forum für Kunstgeschichte, Paris
Der Elfenbeinkamm 'von St. Heribert' im Kölner Museum Schnütgen, wohl in Metz um 870 geschnitzt und eines der bekanntesten Objekte aus dem Frühmittelalter, zeigt eine der komplexesten Kreuzigungsdarstellungen der Karolingerzeit. Doch wurde er erstaunlich wenig studiert. Seine Funktion als Kamm und seine Bebilderung legen eine Identifikation des gekämmten Kopfes mit Golgotha – der „Schädelstätte“ – nahe, also mit dem toten Adam, dessen Schädel als dort begraben galt, und zu Christus, dem neuen Adam.
Anhand von Forschungen zu verwandten Objekten können auch Verbindungen zu Karl dem Kahlen aufgezeigt werden, für dessen kaiserliche Krönung, Ende 875 in Rom, ein Kamm mit Tierkreiszeichen geschaffen wurde (Victoria and Albert Museum, London).
Der Vortrag stellt die materielle und schriftliche Überlieferung von Elfenbeinkämmen bis ca. 1000 vor und die Hypothese, dass der Kamm mit der Kreuzigung zum Anlass der Krönung Karls des Kahlen in Metz im Jahr 869 entstand. Zuletzt wird die spätere Deutung des Kammes als Reliquie Erzbischofs Heribert von Köln (999–1021) untersucht.
Vom Ursprung alles Wissens. Geschichte, Offenbarung und Erkenntnis im philosophischen Diskurs des Spätmittelalters
Montag, 7. Dezember 2020, 18.15 Uhr - Dr. Bernhard Hollick, Deutsches Historisches Institut London
Mittelalterliche Theologie bewegte sich stets im Spannungsfeld von Vernunft und Offenbarung. Doch im 14. Jahrhundert gerieten die Lösungen, mit denen Denker von Alkuin bis Thomas von Aquin diese Kluft überbrückt hatten, in eine Krise. Davon war nicht nur die Erkenntnistheorie betroffen. Auch die Integration antiker Autoren in die klerikale Bildung hing an dieser Frage. Es stand somit die Kultur und der Status eines ganzen gelehrt-geistlichen Milieus zur Disposition. Der Vortrag soll den Auswegen aus dieser Misere nachspüren, die man in der Oxforder Spätscholastik fand. Die Herkunft des Wissens spielte dabei eine entscheidende Rolle.
Dr. Bernhard Hollick hat Mittellatein, Philosophie und Germanistik studiert; 2011 folgte die Promotion in mittel- und neulateinischer Philologie (Erlangen) mit einer Arbeit über die Logica vetus-Glossen in einer Echternacher Handschrift aus dem 12. Jahrhundert. Er war als Postdoc in Braunschweig, Toronto, Köln und in Exeter tätig. Gegenwärtig arbeitet er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut in London; sein Habilitationsprojekt dreht sich um Mythographie und Wissensdiskurs im spätmittelalterlichen England.
Adam und Eva. Musterbiographien im ausgehenden Mittelalter?
4. Januar 2021, 18.15 Uhr - Prof. Dr. Christfried Böttrich, Universität Greifswald
Mit der Erzählung von der Erschaffung des Menschen, seiner Würde und seinem Fall, beginnt die biblische Urgeschichte. Erstaunlicherweise finden diese ersten Kapitel, in denen die Grundzüge einer narrativen Anthropologie entworfen werden, im weiteren Bestand des Alten Testamentes kein nennenswertes Echo mehr. Erst im frühen Judentum kommt man wieder auf diesen Stoff zurück – nun aber mit umso größerer Lust an der Ausschmückung dessen, was im Buch Genesis nur angedeutet ist. Dabei entsteht ein besonderer Typus Erzählung, der als “Leben Adams und Evas” zunächst auf Griechisch und Lateinisch weite Verbreitung erfährt und zudem in die wichtigsten Sprachen des christlichen Orients (armenisch, georgisch, kirchenslawisch) übersetzt wird. Namentlich die lateinische Fassung dieser “Vita Adae et Evae” beeinflusst fortan auch die Bibelprosa in Westeuropa und wird schließlich in den vielgestaltigen Literaturbereich der sogenannten “Historienbibeln” aufgenommen. Zwei Beispiele sind dafür von besonderem Interesse: Die Dichtung Lutwins über Eva und Adam (13./14. Jh.) sowie ein deutsches Adambuch (15. Jh.). Beide Texte gestalten das Leben der Ureltern zu Musterbiographien aus, in denen grundlegende Fragen des Menschseins bedacht und entfaltet werden. Sie zeigen, wie das literarische Spiel mit dem biblischen Stoff zu neuen Perspektiven der Selbstwahrnehmung führt.
Christfried Böttrich studierte in Leipzig Evangelische Theologie. Seit 2003 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Neues Testament an der Theologischen Fakultät der Universität Greifswald. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört vor allem die Literatur des frühen Judentums und deren Rezeption.
Dichter, Gelehrte, Götter – Herkunftsnarrative in der mittelalterlichen isländischen Tradition
Ersatztermin: Montag, 8. März 2021, 18.15 Uhr - Prof. Dr. Lena Rohrbach (Universität Basel/Universität Zürich)
Die mittelalterliche isländische Tradition zeichnet sich geradezu durch eine Obsession für Herkunftsnarrative aus. Eine jede Saga enthält ausführliche Genealogien wichtiger (und peripherer) Figuren, die immer wieder bis auf mythische und heroische Zeiten zurückverfolgt werden. Neben genealogischen Ursprüngen werden jedoch durch Berufung auf poetische und gelehrte Vorgänger auch andere Traditionslinien für die Konstruktion von Biographien bemüht. In diesem Vortrag werde ich am Beispiel der Prosa-Edda und verschiedener isländischer Kompilationshandschriften des Spätmittelalters diesem Zusammenspiel unterschiedlicher Legitimationsstrategien und diesen zugrundeliegenden Identitätskonstruktionen im mittelalterlichen skandinavischen Kontext nachgehen.
Lena Rohrbach ist seit 2017 Professorin für Nordische Philologie an den Universitäten Basel und Zürich. Zuvor war sie von 2009 bis 2017 zuerst Juniorprofessorin, dann Professorin für skandinavistische Mediävistik an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind materialphilologisch-mediologische, erzähl- und gattungstheoretische Annäherungen an die vormoderne skandinavische Literatur und Schriftkultur.
Montag, 28. Oktober 2019: Prof. Dr. Bernhard Jahn, Universität Hamburg
Inklusion und Exklusion im Dyl Vlenspiegel
Die 1515 in Straßburg gedruckte Schwanksammlung Ein kurtzweilig lesen von Dyl Vlenspiegel ist das erste erhaltene umfassende Textzeugnis, in dem Till Eulenspiegel als literarische Figur auftritt. Die Funktion des Buches (reine Unterhaltung oder Lasterkritik? Bestätigung kirchlicher Normen oder sozialrevolutionäre Tendenz?) ist in der Forschung nach wie vor umstritten.
Im Vortrag soll erprobt werden, ob die Deutung Eulenspiegels als Figuration des Fremden ein neues Verständnis ermöglicht.
Bernhard Jahn studierte Germanistik und Musikwissen-schaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er promovierte 1993 in München, 2002 folgte die Habilitation an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Seit 2010 ist er Professor für Deutsche Literatur des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit an der Universität Hamburg. Einer seiner Forschungsschwerpunkte liegt im Bereich des Theaters in der Frühen Neuzeit mit einem besonderen Interesse am Musiktheater. Er ist Mitglied des Hamburger Graduiertenkollegs Interkonfessionalität in der Frühen Neuzeit und Mitherausgeber des literaturwissenschaftlichen Verfasserlexikons Frühe Neuzeit in Deutschland, 1620–1720.
Montag, 11. November 2019: Dr. Stefan Drechsler, Universität Bergen (Norwegen)
Fremdheit in der Gísla saga Súrssonar
Die Gísla saga Súrssonar gilt als eine der bedeutendsten Zeugnisse der mittelalterlichen Saga-Literatur Islands. Grob datiert auf die Mitte des 13. Jahrhunderts, schildert die Gísla saga die schicksalshafte Geschichte dreier Brüder im späten 10. Jahrhundert. Im Vortrag sollen einige Formen der Fremdheit in der Gesellschaft der Saga vorgestellt und im Rahmen ihrer einzigartigen fatalistischen Grundstimmung diskutiert werden. Neben Erzählstrategien und Charakterschilderungen der Saga werden auch ihre vielfältige Überlieferung und die damit einher gehenden Deutungsprobleme im Vordergrund stehen.
Dr. Stefan Drechsler studierte Skandinavistik, Kunst-geschichte und Philosophie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, und ‚Medieval Icelandic Studies‘ an der Háskóli Íslands zu Reykjavík, Island. Er promovierte 2017 an der University of Aberdeen in Scandinavian Studies und war zwischen 2018 und 2019 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Fachbereiches Skandinavistische Mediävistik am Institut für Fennistik und Skandinavistik der Universität Greifswald angestellt. Seit September 2019 ist er Postdoctoral Research Fellow an der Universitetet i Bergen, Norwegen. Seine Hauptforschungsschwerpunkte liegen in der altwestnordischen Saga-Literatur, den interdisziplinären, material-philologischen Handschriftenwissenschaften und den Digital Humanities.
Montag, 25. November 2019: Prof. Dr. Juliane von Fircks, Universität Jena
Die Mongolen und Europa: Globale Verflechtung um 1300 aus kunsthistorischer Perspektive
Globale Vernetzung im Mittelalter, gab es sie überhaupt? Und falls ja, wer hatte daran teil und welches waren ihre Auswirkungen und Grenzen?
Um sich diesen Fragen zu nähern, nimmt der Vortrag die ab 1279 knapp einhundert Jahre währende Zeit der Herrschaft der Mongolen über Asien in den Blick, die nicht nur die traditionellen Kulturen Chinas und Irans grundlegend veränderte, sondern, aufgrund der Öffnung der Handelswege, auch italienische Fernhändler wie Marco Polo bis nach China reisen ließ. Im Fokus stehen Luxuswaren wie Seidenstoffe, Gefäße aus Edelmetall, Glas und Porzellan, die innerhalb Asiens sowie von Asien nach Europa gehandelt wurden.
Es soll gezeigt werden, dass die Aneignung der importierten Artefakte nicht umfassend war, sondern von Region zu Region auf höchst unterschiedliche Weise erfolgte. Dabei werden auch Formen der geistigen Grenzziehung oder auch Anzeichen von Ignoranz seitens der Europäer gegenüber den fremden Motiven, Formen und Inhalten in die Betrachtung miteinbezogen und die Gründe hierfür zu diskutieren sein.
Montag, 9. Dezember 2019: Prof. Dr. Marc von der Höh, Universität Rostock
Bilder der Anderen: Fremde in den italienischen Kommunen
Der Vortrag beschäftigt sich mit einer Bevölkerungsgruppe in den italienischen Handelszentren des 11. bis 14. Jahrhunderts, die nur sporadisch in der Überlieferung fassbar ist, bei den Zeitgenossen nach Ausweis der Quellen aber wohl die extremste Fremdheits-erfahrung ausgelöst hat: den Muslimen.
Vor allem in den sogenannten Seestädten Pisa, Genua und Venedig sind sie immer wieder, wenn auch niemals dauerhaft präsent gewesen. Lassen sich Muslime in den Seestädten zunächst als Händler vermuten bzw. plausibel machen, so sind sie seit dem 11. Jahrhundert als Kriegsgefangene oder als diplomatische Akteure sicher nachweisbar.
Der Vortrag versteht sich dabei nicht als weiterer Beitrag zu einer Geschichte des christlichen Wissens über den Islam, vielmehr soll eine wahrnehmungsgeschichtliche Perspektive erprobt werden, die jenseits der religiösen Differenz nach weiteren Aspekten des „Sarazenen“-Bildes im lateinischen Mittelalter sucht.
Montag, 6. Januar 2020: Dr. Falk Eisermann, Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz
Wie die neue Medienwelt Amerika entdeckte: Der 'Columbusbrief' von 1493 in der Kommunikationskultur seiner Zeit
Am 12. Oktober 1492 erreichte Christoph Columbus erstmals das, was wir die „neue Welt“ nennen. Sofort nach seiner Rückkehr sechs Monate später begannen spanische, italienische und deutsche Drucker damit, seinen kurzen Expeditionsbericht in Europa zu verbreiten und damit „Amerika“ für die neue Medienwelt zu entdecken – auch wenn zunächst weder Autor noch Leser ahnten, was hier eigentlich entdeckt worden war; der Name des neuen Kontinents wurde bekanntlich erst 1507, nach dem Tod des Columbus, geprägt.
Der Columbusbrief von 1493 ist ein oft übersehener Schlüsseltext der Vormoderne. Sein Text und seine Überlieferung erzählen besondere Geschichten über das Eigene und das Fremde: zuerst die Geschichte vom individuellen und kollektiven Missverständnis einer Fremdheitserfahrung; dann die Geschichte eines Prozesses intensiver Textverfremdungen und medialer Transformationen, die bereits mit der frühesten Überlieferung des Textes verbunden sind; und schließlich eine Geschichte über skurrile Verfremdungen und kriminelle Enteignungen, denen der Brief unterzogen wurde, seit Amerika ihn im 19. Jahrhundert als Gründungsdokument des vierten Kontinents wiederentdeckte.
Montag, 20. Januar 2020: Prof. Dr. Katrin Kogman-Appel, Universität Münster
Weltpolitik aus jüdischer Sicht: Die 'Katalnische Weltkarte' (Mallorca, 1375)
Die reich bebilderte sogenannte Katalanische Weltkarte gehört zu den bekanntesten kartographischen Produkten des Mittelalters. Sie wurde von Peter IV. von Aragon in Auftrag gegeben und Karl V. von Frankreich zum Geschenk gemacht. Sie entstand um 1375 in der Werkstatt des Elisha Cresques, eines jüdischen Schreibers, Malers und Kartographen in Mallorca.
Der Vortrag zeigt auf, wie Elisha vorging, um einerseits die politischen und religiösen Erwartungen seines Auftraggebers zu erfüllen, und andererseits seiner eigenen Position als jüdischer Intellektueller Ausdruck zu verleihen.
Wie Sebastian Brant im 65. Kapitel seines 1494 gedruckten Narrenschiffs ausführt, bestimmte der Wunsch nach Berechenbarkeit der Zukunft mithilfe von Sternenkonstellationen nur allzu sehr den Alltag der Menschen. Aus kirchlicher Sicht praktizierten die vermeintlichen Wahrsager aber Teufelskunst. Nicht der Aberglaube sollte das Leben des Christen bestimmen, sondern allein sein Vertrauen auf Gott. Der christliche Glaube war bestimmt von der eschatologischen Erwartung, dass Gott nicht nur über das Weltgeschehen, sondern beim Jüngsten Gericht auch über das jenseitige Schicksal des Menschen entscheidet. Umso bedeutsamer war somit die Vorbereitung des Menschen auf den Tod. In dieser Spannbreite zwischen Zukunftshoffnung, imaginierten Zukunftskonstruktionen und Zukunftsangst, verbunden mit Visionen vom Jüngsten Gericht, werden die Vorträge mittelalterliche Zukunftsvorstellungen in Schrift und Bild aus den Bereichen von Kunst, Religion, Literatur und Geschichte behandeln.
Die Vortragsreihe des Mittelalterzentrums der Universität Greifswald wird gefördert von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, Essen.
5. November 2018: PD Dr. Susanne Knaeble
Planen und Entscheiden. Zukunftskonzepte in frühen deutschsprachigen Prosaromanen
Zeit ist für Erzählen essentiell: Die Art und Weise, wie literarische Erzählungen funktionieren, ist ganz wesentlich davon beeinflusst, welche Zeitvorstellungen in den Texten entworfen sind. Diese Zeitvorstellungen sind zugleich einem soziokulturellen Wandel unterworfen. Das bedeutet, Zeit ist historisch gesehen ganz unterschiedlich verstanden worden. So mag z.B. heute die Vorstellung, dass ein mittelalterlicher Held keine Zukunft nach unserem Verständnis kennt, zunächst befremdlich erscheinen. Doch der Platz, den sich der mittelalterliche Held erkämpfen muss, ist ihm stets vorherbestimmt – sei es durch Geburt, durch Schicksal oder Gott. Die mittelalterlichen Erzählungen kennen daher nicht die Vorstellung einer ‚offenen Zukunft‘, d.h. eines unbestimmten Zeitraumes, den es mit Plänen, Wünschen, Kalkulationen usw. zu füllen und zu gestalten gilt. Es ist noch nicht einmal das Wort ‚Zukunft‘ in Gebrauch, denn das mittelhochdeutsche und auch noch das frühneuhoch-deutsche zuokunfft oder kunfft bezeichnet vielmehr die ‚Ankunft‘, d.h. den Eintritt eines vorherbestimmten Ereignisses. Doch an welcher Stelle und auf welche Art und Weise tritt in der Literatur hierbei ein Wandel hin zu einer ‚offenen Zukunft‘ ein? Um diese Frage zu beantworten, muss man sich auf die Suche danach machen, wie mit dem Ungewissen umgegangen wird, und untersuchen, ob und woran sich ein Gestaltungswille des Möglichen, Noch-Nicht-Seienden festmachen lässt. Die in den frühen deutschsprachigen Prosaromanen entworfenen Szenen des Planens und Entscheidens der Figuren können hierbei als Schlüs-selstellen für den Entwurf von aktiver Zukunftsgestaltung verstanden werden.
19. November 2018: Prof. Dr. Gerhard Weilandt
Der Kaiser und die Teufel. Die Seelenwägung Kaiser Heinrichs II. in Kirichen auf Gotland
Der Vortrag befasst sich mit einigen ungewöhnlichen Darstellungen auf Wandmalereien in den gotländischen Kirchen. Es handelt sich um die Seelenwägung Kaiser Heinrichs II., ein Bildthema, das nach 1500 in der Umgebung Bambergs, wo Heinrich II. bestattet und als Heiliger verehrt wurde, populär war, zuvor jedoch nur auf Gotland vorkommt, und zwar schon im 13. und 14. Jahrhundert. In Franken gibt es aus dieser frühen Zeit keine Bildüberlieferung. Es scheint, als sei die ikonographische Tradition der Seelenwaage Heinrichs II. auf Gotland entstanden, obwohl es hier keine intensive kultische Verehrung des Kaisers gab. Es gilt, das merkwürdige Phänomen zu erklären, warum während des Hoch- und Spätmittelalters im Zentrum der Heinrichsverehrung die Darstellung seiner Seelenwägung noch unbekannt war, während es weit entfernt auf Gotland gleich mehrere Darstellungen gibt. Als Quelle kommt keine tradierte Ikonographie in Frage. Vielmehr müssen die Künstler der frühesten Denkmäler direkt aus den Schriftquellen geschöpft haben, die kurz vor den ersten Darstellungen verfasst wurden.
3. Dezember 2018: Dr. Anita Sauckel (University of Iceland)
Zukunftsangst in der altisländischen Brennu-Njáls saga
Zu den wesentlichen Erzählelementen der altislän-dischen Brennu-Njáls saga („Die Geschichte vom verbrannten Njáll“) zählen Vorahnungen in Form von Träumen, Prognosen und Warnungen. Im Zentrum der Handlung steht der Titelheld der Saga, Njáll Þorgeirsson, ein Rechtsgelehrter und Seher. Er erteilt anderen Figuren juristische Ratschläge, die er nicht selten mit einer Zukunftsprognose in Bezug auf einen möglichen Erfolg oder Misserfolg ihres Anliegens versieht. Mit seinem „guten Rat“ und seinem Wissen um künftige Ereignisse schürt der Protagonist aller-dings auch Zukunftsängste: Der Vortrag geht der Frage nach, um welche Ängste es sich dabei handelt, mit welchen literarischen Mitteln diese zum Ausdruck gebracht werden und welche Auswirkungen diese auf den Handlungsverlauf und das Schicksal der Figuren haben.
7. Januar 2019: Prof. Dr. Susanne Wegmann (TH Köln)
Die Schau ins Künftige. Bilderrealitäten an spätmittlelaterlichen Altarretabeln
Wie kaum ein anderes Medium ist das spätmittelalterliche Flügelretabel geeignet, dem Betrachter aus der Gegenwart eines diesseitigen Betrachterraums eine Schau ins jenseitige, künftige Gottesreich zu ermöglichen. Die Wandlung des Retabels inszeniert eine Enthüllung und Verhüllung dessen, was dem Gläubigen versprochen, aber seinen Augen noch entzogen ist. Am Altarretabel von St. Wolfgang am Wolfgangssee – an dem Retabel, das im Zentrum des Vortrags stehen wird – bietet Michael Pacher alle Mittel seiner Kunst auf, diese Schau in das Künftige zur gegenwärtigen Realität werden zu lassen. Die illusionistische Überzeugungskraft, mit der der Betrachter die Gegenwart der göttlichen Trinität erfährt, wird jedoch zugleich selbstreflexiv als Werk eines Künstlers markiert und damit an Bilddiskurse angebunden, die den christlichen Bildgebrauch von Anbeginn bestimmen.
21. Januar 2019: Prof. Dr. Klaus Oschema (Ruhr-Unviersität Bochum)
Die Zukunft der ganzen Welt. Spätmittlelalterliche Judicia anni und die Ordnung des Wissens über die Zukunft
Die jüngst intensivierte Erforschung spätmittelalterlicher Zukunftsvorstellungen fokussiert häufig auf Texte und Quellen, die den Blick auf religiös aufgeladene Motive lenken. Dabei geraten insbesondere Praktiken der individuellen und kollektiven Vorsorge für das Seelenheil in den Fokus, oft in Ausrichtung auf das biblisch beschriebene Ende der diesseitigen Welt. Erst in den letzten Jahren bemüht sich die Forschung verstärkt, innerweltliche Zukunftsvorstellungen der Vormoderne zu fassen. Dabei liegt ein Schwerpunkt auf der Entstehung des Gedankens von Planbarkeit und Risiko, aber auch solcher Praktiken wie der Vorsorge und der Versicherung.
Dem gegenüber will dieser Vortrag einen Bereich in den Fokus rücken, der unmittelbar auf die Produktion von Wissen über die Zukunft ausgerichtet ist, aber von der Forschung weithin vernachlässigt wird: astrologische Texte. Einen beispielhaften Einblick eröffnen die sogenannten «Judicia anni» (oder Jahresprognostiken), die insbesondere im 15. Jahrhundert weit rezipiert wurden und zu den frühesten gedruckten Texten gehören. Judicia anni sind als «Gebrauchsliteratur» einzuschätzen, deren Inhalt zukünftige Ereignisse und Entwicklungen prognostiziert. Wenngleich sie damit der Geschichtswissenschaft, anders als Chroniken oder Urkunden, nicht als unmittelbare Lieferanten von Information über Geschehenes dienen können, eröffnen sie doch reichhaltige Einblicke in die Vorstellungswelten der betreffenden Zeit: Wie nahm man die Welt wahr? Welche Orte, Institutionen und Gegenstände betrachtete man als wichtig genug, um einschlägige Prognosen abzugeben? Welche Vorstellungen, Erwartungen und Ängste hatte man gegenüber der Zukunft?
Der Vortrag möchte zunächst die Relevanz dieser Fragestellungen aufzeigen, um dann an ausgewählten Beispielen exemplarische Einblicke in die Struktur und Inhalte dieser bislang kaum bearbeiteten Texte zu geben.
- Plakat
- Flyer
- Vortragsankündigung: Prof. Dr. Volker Leppin (17.10.2016)
- Vortragsankündigung: Prof. Dr. Monika Unzeitig/Prof. Dr. Thomas Kuhn (07.11.2016)
- Vortragsanküdnigung: Dr. Britta-Juliane Kruse (21.11.2016)
- Vortragsankündigung: Prof. Dr. Gerhard Weilandt (05.12.2016)
- Vortragsankündigung: Dr. Clemens Kosch (09.01.2017)
- Vortragsankündigung: Prof. Dr. Walter Werbeck (23.01.2017)
Bisherige Vortragsreihen
Zeitraum | Thema |
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Wintersemester 2021/22 | Mittelalterliche Konstruktionen von Biographien, Herkunft und Provenienz // Fortsetzung |
Wintersemester 2020/21 | 25 Jahre Mittelalterzentrum Greifswald - Mittelalterliche Konstruktionen von Biographien, Herkunft und Provenienz |
Wintersemester 2019/20 | Das Eigene und das Fremde im Mittelalter |
Wintersemester 2018/19 | Zukunft im Mittelalter |
Wintersemester 2017/18 | Farbiges Mittelalter |
Wintersemester 2016/17 | Kontinuitäten im Wandel. Praktizierte Frömmigkeit zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit |
Wintersemester 2015/16 | Rituale im Mittelalter. Inszenierung - Ordnung - Symbolik |
Wintersemester 2014/15 | Personen – Kult. Prominenz im Mittelalter |
Wintersemester 2013/14 | Buch – Kultur. Interdisziplinäres zu Schrift und Bild im Mittelalter |
Wintersemester 2012/13 | Einheit oder Vielfalt im europäischen Mittelalter? |
Wintersemester 2011/12 | Das Meer im Mittelalter. Raum - Erfahrung - Grenze |
Wintersemester 2010/11 | Tierisches Mittelalter |
Wintersemester 2009/10 + Sommersemester 2010 | Erziehung und Bildung im Mittelalter |
Wintersemester 2008/09 | Technik im Mittelalter |
Wintersemester 2007/08 | keine |
Wintersemester 2006/07 | Hofkultur in Mittelalter und Früher Neuzeit |
Wintersemester 2005/06 | Natur und Geist. Von der Einheit der Wissenschaften im Mittelalter |
Wintersemester 2004/05 | Sprache im Mittelalter |
Wintersemester 2003/04 | Landschaften im Mittelalter |
Wintersemester 2002/03 | Das Papsttum im Mittelalter |
Wintersemester 2001/02 | Imagination und kulturelle Praxis im Mittelalter |
Wintersemester 2000/01 | Medien der Kommunikation im Mittelalter |
Wintersemester 1999/2000 | Philosophie im Mittelalter. Ihre Ausdrucksformen in Kunst, Wissenschaft, Literatur und Geschichtstheorie |
Wintersemester 1997/98 | Randgruppen im Mittelalter |
Wintersemester 1996/97 | Lebendiges Mittelalter |
Wintersemester 1995/96 | Mittelalterforschung interdisziplinär |
Sommersemester 1995 | Mittelalterforschung heute |